: Am Rande ist's modern
Auch der Abgang von Vogts ändert vorerst nichts daran, daß der Berti-Faktor bei den deutschen Spitzenklubs bedenklich hoch ist ■ Von Ulrich Fuchs
Seit vergangener Woche ist der deutsche Fußballwortschatz um einen Begriff reicher. Mit „ballorientierter Manndeckung“ wollte Berti Vogts das DFB-Spiel revolutionieren. Aber der Fall mißriet zum Eigentor, Sonntag abend hat der Bundestrainer seinem Versuch wieder abgeschworen, den Libero nicht in die Wüste, aber endlich ins Mittelfeld zu schicken. Nun ist Vogts seinen Job los.
Zu bedauern ist das nicht. Im Gegenteil. Aber es ist auch nicht ohne ironische Pointe. Die Begrifflichkeit des Vogtsschen Reformansatzes war zwar wie ein Tritt gegen das Schienbein der Fußballmoderne – aber rein faktisch ein Schritt in die richtige Richtung.
In bemerkenswerter Intensität hatte die Weltmeisterschaft in Frankreich illustriert, daß die DFB-Auswahl mit ihrem Spiel nicht mehr auf der Höhe der Zeit agiert. Und ein Merkmal des fortschrittlichen Gegenwartsfußballs ist – natürlich! –, daß in der Defensivorganisation ballorientiert gearbeitet wird. Was, mal verkürzt gesagt, nichts anderes bedeutet als: Dort, wo der Gegner die Kugel führt, versucht man ihn mit personellem Übergewicht aufzuhalten.
Die taktischen Mittel, das zu erreichen, sind unterschiedlich. Da das Spiel aber enorm an Athletik und damit Tempo zugelegt hat, ist eine Maxime das Feuerwehrprinzip: Man muß sein Personal sehr schnell dort haben, wo der Ball ist – sonst droht die Sache anzubrennen. Ein Libero, der sich zur Absicherung hinter die Abwehr zurückzieht, wenn der Gegner angreift, hat nicht nur weite Wege zum jeweiligen Brennpunkt, er fehlt auch weiter vorne beim Versuch, Überzahl herzustellen.
Spätestens hier aber ist das – nennen wir es mal Matthäus-Prinzip – nicht mehr ein originär Vogtssches, sondern ein Problem des deutschen Spitzenfußballs insgesamt. Nimmt man das Liberospiel, was nur ein Aspekt ist, zumindest als Zeichen – wo wurde in den vergangenen Jahren innovativ gespielt? Bayern unter Trapattoni? Eben. Beim VfB Stuttgart in seiner zauberhaften Phase? Auch Fehlanzeige. Dortmund? Na gut, in Ansätzen – was viel mit der Interpretation der Position durch Matthias Sammer zu tun hatte. Aber nicht mit letzter Konsequenz, was viel mit Ottmar Hitzfeld zu tun hatte. Obwohl der doch damals direkt beteiligt war, als auf Vereinsebene für 90 Minuten ein Menetekel für das Vogtssche Scheitern aufschien. Im Frühjahr 1996, beim Champions-League-Viertelfinale zwischen Borussia Dortmund und Ajax Amsterdam. „Einen Klassenunterschied“ hatte die taz damals ausgemacht und Ajax- Trainer Louis van Gaal konstatiert: „Wenn es eng wird, verliert Dortmund den Überblick.“
Was den Offensiv-Aspekt der Räume verengenden Defensive ins Spiel bringt. Immer noch und Gott sei Dank wieder immer mehr geht es im Fußball nicht nur darum, den Ball zu erobern, sondern ihn danach auch ins gegnerische Tor zu befördern. Bei einem Spiel, das immer engmaschiger geworden ist, heißt das: Von den Akteuren wird nicht nur gedankliche Flexibilität in der Defensive benötigt, sie müssen sich bei eigenem Ballbesitz auf engem Terrain behaupten können.
Sprich: die klassische Arbeitsteilung zwischen Defensive und Offensive wird zunehmend nivelliert. Jeder muß mitverteidigen, jeder muß aber auch ballfertig genug sein, die Offensive mit einzuleiten. Nicht zuletzt muß jeder die Bereitschaft mitbringen, bedingungslos für das System zu arbeiten.
Versuche, diese mannschaftstaktischen Anforderungen der Moderne umzusetzen, den Berti- Faktor im deutschen Vereinsfußball zu verringern, hat es in den letzten Jahren (mit Ausnahme von Leverkusen) nur von den Rändern her gegeben: in Rostock und Bochum, in Freiburg oder auch in Mainz und Ulm.
Die Spitzenklubs haben versucht, ihre Position durch den Zukauf der individuell stärksten Spieler zu sichern. National kann das funktionieren, zumal die individuellen Fähigkeiten natürlich noch immer die wichtigste Voraussetzung für Erfolg sind. International wird man damit perspektivisch den Anschluß verlieren. Auch ein neuer Bundestrainer kann da nur Signale setzen – die Reformbewegung muß in der Liga stattfinden.
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