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Am Rand der Verzweiflung

Burnout mit 18: Für junge AktivistInnen endet der Kampf gegen die Klimakrise immer häufiger in der Psychiatrie. Das ist nicht nur ein persönliches Problem. Hinter psychischen Erkrankungen stecken gesellschaftliche Strukturen.

Psychische Erkrankungen sind in der Klimabewegung keine Seltenheit, sagen Nisha Toussaint-Teachout (links) und Charlotte von Bonin. Fotos: Jens Volle

Von Minh Schredle↓

Einmal hat er sich, der Sehnsucht halber, eine Hängematte aufgehängt, im Park um die Ecke, weit oben zwischen den Wipfeln der Bäume. Kolja Schultheiß erinnert sich gerne an sein Vierteljahr im Dannenröder Forst. Irgendwo musste der Klimaaktivist und Kassenpatient die Wartezeit überbrücken. Vor einem Monat wurde der 18-Jährige nach schwerer Depression und Burnout aus einer psychiatrischen Klinik entlassen.

Wie viele Kinder und Jugendliche, die sich der Umwelt zuliebe engagieren, war Schultheiß entsetzt, als ihm das Ausmaß der Klimakrise bewusst wurde und er mitansehen musste, dass praktisch nichts getan wird, um sie zu bewältigen. Seitdem ihn diese Einsicht tief beunruhigte, hat ihn der ständig wieder­kehrende, nagende Gedanke verfolgt, dass der Planet mit jedem Tag und jeder Stunde ohne Kurswechsel schlimmere Schäden davonträgt, als würde ein Zug, der auf einen Abgrund zurast, beschleunigen statt zu bremsen. „Jemand muss doch was tun!“, dachte er sich immer und immer wieder.

Also hat er Demonstrationen organisiert und Bündnisse gegründet, Reden gehalten und sein Privatleben dem höhe­ren Zweck geopfert. 16 Stunden jeden Tag war der Schüler aus Esslingen in den Hochphasen unterwegs, als er, parallel zu den Abiturvorbereitungen, alles in seiner Macht stehende unternehmen wollte, um die existenzielle Krise der Menschheit ins Bewusstsein der Gesellschaft zu rücken.

Zum Durchatmen kam er erst dank einer Zwangspause: Mit dem Corona-Lockdown im Frühling 2020 konnten keine Aktionen mehr auf der Straße stattfinden, und nach einem Jahr permanenter Verausgabung hatte Schultheiß etwas Zeit für sich selbst. „Als ich dann aber trotz Ruhe überhaupt nicht mehr aus meinem Loch gekommen bin“, sagt er, „wurde mir klar, dass vielleicht mehr dahinter steckt als nur Erschöpfung.“

Nach der Burnout-Diagnose musste er drei Monate auf einen Therapieplatz warten. „Da kommt man sich schon etwas verhöhnt vor“, lässt er wissen. Gerettet hat ihn, dass ihn ein paar paar Freundinnen und Freunde in den Dannenröder Forst mitgenommen haben, „sonst wüsste ich nicht, wie ich die Zeit überstanden hätte.“

Höhenflug und Bruchlandung

Psychische Erkrankungen, berichten ­Nisha Toussaint-Teachout und ­Charlotte von Bonin, „sind in der Bewegung für Klima­ge­rech­tig­keit leider keine Seltenheit“. Die beiden gehören zum Gründungs­kreis der Stuttgarter Ortsgruppe von Fridays for Future und wissen aus eigener Erfahrung, wie aufreibend der Einsatz für intakte Lebensgrundlagen sein kann. „Oft wird Aktivismus noch immer als Hobby missverstanden“, sagt Toussaint-Teachout. Aber ihr wäre es lieber, wenn sie und Gleichgesinnte nicht dafür kämpfen müssten, dass der Planet bewohnbar bleibt. Von Bonin pflichtet bei: „Eigentlich ist das ein riesiger Skandal, wenn Kinder und Jugendliche die Politik an ihre eigenen Abkommen erinnern müssen.“

Im Januar 2019 hat von Bonin die Doku „Before the flood“ gesehen – die aufzeigt, dass der Klimawandel bereits heute verheerende Folgen entfaltet. „Und zwar so sichtbare, dass sich das nicht mehr wegschieben ließ“, sagt die 24-Jährige. Als sie dann am gleichen Abend einen Artikel über Greta Thunbergs Schulstreik las, dachte sie sich: So etwas braucht es hier auch. Also hat sie eine Telegram-Nachricht im Freundeskreis verschickt und am nächsten Freitag standen sie zu sechst auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Um diese Zeit gründeten sich überall auf der Welt Ortsgruppen und die Fridays for Future wurden in wenigen Monaten zur größten Bewegung der jüngeren Gegenwart.

Das ist die andere Seite der Medaille im Kampf für Klimagerechtigkeit: Neben realpolitischen Rückschlägen, die bis an den Rand der Verzweiflung und darüber hinaus führen können, führt das gemeinschaftliche Engagement für eine bessere Welt auch zu euphorischen Hochgefühlen. Am deutlichsten wurde diese Ambivalenz, erzählt Toussaint-Teachout, am 20. September 2019, beim globalen Klima­streik mit Millionen Teilnehmenden. „Wir dachten, wir haben alles auf unserer Seite: Die Wissenschaft, eine Jugend, die aufsteht, diese mitreißende Dynamik und so viel positive Energie.“ Dann kam noch am gleichen Abend das „Klimapäckchen“ der Bundesregierung, und das war „wie ein Faustschlag ins Gesicht“. Je ausgeprägter der Idealismus, desto härter kann die emotionale Bruchlandung werden. „Im Frühjahr 2019 habe ich eine Veranstaltungsanfrage für den Herbst abgelehnt. Weil ich davon ausgegangen bin, dass es unsere Arbeit bis dahin nicht mehr braucht“, sagt Toussaint-Teachout und lächelt traurig. „Das war wohl etwas naiv.“

Sie und von Bonin kennen die rasenden Gedanken, die keine Ruhe mehr lassen, den Tatendrang und die Ohnmachtsgefühle. „Eine Zeit lang hatte ich sogar Schuldgefühle beim Spaßhaben“, verrät von Bonin. Ist denn Freude noch vertretbar, wenn künftigen Generationen eine verwüstete Erde hinterlassen wird? Zwei Jahre hat sie sich keinen Urlaub und keine Auszeit gegönnt. Doch heute denkt sie anders. „Es ist wichtig, auch gute Gefühle zuzulassen. Sonst wird es lähmend.“ Den Vollzeit-Einsatz auf Hochtouren hält auf Dauer niemand durch. Also ist es nötig, sagt Toussaint-Teachout, sich auch mal Aktivismus-Pausen zu verordnen.

Die Krise ist kein individuelles Problem

Zur Burnout-Prävention in Jugend­jahren trifft sich die Stuttgarter ­Gruppe – wie auch andere – regelmäßig mit den Psycho­logists for Future. Diese verweisen auf ihrer Website darauf, dass Sorgen und Ängste zunächst einmal eine natürliche Schutzreaktion seien, als Ausdruck des Überlebensinstinkts. „Erst wenn Besorgnis und Furcht überhandnehmen, ist die Entwicklung dys­funk­tio­naler, lähmen­der Ängste im Sinne einer psychischen Erkran­kung zu erwarten.“

Die Wissenschaftler warnen eindringlich davor, bei Klimaangst und -depression allein das Individuum in den Blick zu nehmen: „Wenn nämlich die Angst vor den Auswirkungen der Klima­krise zunehmend pathologisiert wird, rückt eine zu überwindende Angst in den Fokus der Bemühungen.“ Die Krise würde somit als ein „individuelles Anpassungsproblem“ erscheinen. „Dabei geht es eigentlich um eine globale Bedrohung, die nur gesellschaftlich-politisch überwindbar ist. Der Versuch der Pathologisierung kann auch als eine Strategie gesehen werden, gesellschaftliches Engagement für den Klimaschutz zu diffamieren und notwendige politische Entscheidungen zu verhindern.“

Noch immer haftet der sichtbaren Verletzlichkeit ein Stigma an: Wer politisch ernst genommen werden will, so scheinen es die ungeschriebenen Gesetze des gesellschaftlichen Diskurses zu verlangen, muss Erfolg ausstrahlen und Stärke zeigen. Allerdings drängt die Frage, ob nicht ein fundamentaler Perspektivwechsel überfällig wäre: Wer im Zeitalter der vermeidbaren Krisen nicht gelegentlich gebeutelt ist vom Weltgeschehen, ist entweder abgestumpft oder uninformiert.

Kolja Schultheiß findet es jedenfalls bedenklich, wenn die Depression zur Volkskrankheit wird. Laut „Ärzteblatt“ weist ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland „eine oder mehrere klinisch bedeutsame psychische Störungen auf“. Bei dieser Häufigkeit vermutet Schultheiß strukturelle Ursachen.

„Jemand muss doch was tun!“, dachte Kolja Schultheiß und kämpfte bis zum Burnout.

Das böse K-Wort

Im Zuge seiner Therapie hat er viele Leute kennengelernt und Freundschaften geschlossen, zu denen es ansonsten eher nicht gekommen wäre. Darunter mit der Tochter eines Immobilienmoguls, die ihm angeboten hat, mal im Privatjet mitzureisen. Aber Schultheiß ist noch nie geflogen und möchte auch nicht damit anfangen. Als er einmal einem RTL-Reporter von seiner lebenslangen Absti­nenz erzählt hat, schien dieser schwer enttäuscht zu sein. Vielleicht liegt es daran, dass Schultheiß noch nie auf RTL zu sehen war.

Der Umgang mancher Medien mit der Klimakrise und den Gegenprotesten verwundert den Jugendlichen. Bei Befragungen, berichtet Schultheiß, habe es sich manchmal so angefühlt, als wollten ihm Reporterinnen und Reporter gleich den Kopf tätscheln. In vielen Beiträgen habe der Schwerpunkt schlussendlich darauf gelegen, wie vertretbar es denn sei, für Demonstrationen die Schule zu schwänzen – und weniger auf der Botschaft, dass es radikale Umwälzungen braucht, wenn das Pariser Klimaschutzabkommen mehr als ein Scherz sein soll.

Insgesamt hat Schultheiß den Eindruck, dass Systemfragen in vielen Publi­kationen eher nicht so gerne gestellt werden. Offenbar erscheine es als unseriös oder ahnungslos, die Marktwirtschaft zu hinterfragen. „Aber das Gesundbeten kata­strophaler Zustände zeugt offenbar von Kompetenz“, spottet er. Grundsatzkritik würde allenfalls als Randerscheinung auftauchen – „was teils auch auf Akti­visti abfärbt, die dann viel herumdrucksen und weniger verfängliche Formulierungen suchen, vielleicht von einer ökologischen Transformation reden, aber das böse K-Wort tunlichst vermeiden.“ Wenn es aber Jahrzehnte lang nicht gelinge, die globalen Emissionen zu reduzieren und das Artensterben einzudämmen, „obwohl politisch andauernd die Absicht bekundet wird, das in Zukunft besser zu machen, ist doch die naheliegende und logische Schlussfolgerung, dass unser System nicht funktionsfähig ist“.

Ob es sich bei diesem Standpunkt um eine Mehrheitsmeinung bei Fridays for Future handelt, will Schultheiß nicht beurteilen. Auch Charlotte von Bonin und Nisha Toussaint-Teachout betonen den pluralistischen Charakter der Bewegung. Sie selbst halten es allerdings mit Greta Thunberg und Luisa Neubauer, die im vergangenen Sommer per offenem Brief ausführten: „Unser derzeitiges System ist nicht ‚kaputt‘ – das System tut genau das, was es soll und wofür es geformt wurde. Es kann nicht länger ‚repariert‘ werden. Wir brauchen ein neues System.“ Ein „Spiegel“-Kolumnist meinte daraufhin, dass sich der Text „nur als Kriegserklärung lesen“ lasse, ganz als stünde der Ökofaschismus vor der Tür.

Von Bonin, Toussaint-Teachout und Schultheiß haben im vergangenen Herbst mitprotestiert, als im Dannenröder Forst ein artenreicher Wald unter Billigung der Grünen abgeholzt wurde, um den Autoverkehr auszubauen. „Es war wie eine andere Welt“, berichtet von Bonin, mit ganz anderen, achtsamen Umgangsformen, antisexistisch und frei von Verwertungs­logik. „Und dann kommt man zurück nach Stuttgart, wo ein neuer Oberbürgermeister und Autofan mit dem Slogan ‚Schaffen statt Gendern‘ gewählt wurde.“ Der Kampf für Emanzipation und Klima­gerechtigkeit kann extrem frustrierend sein. „Aber Aufgeben ist keine Option“, sagt sie. Um für Veränderung im Großen beizutragen soviel sie kann, hat sie sich zum Ziel gesetzt, im Kleinen „eine andere Welt aufbauen, wo es möglich ist, schon jetzt“.

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