Am Ende der Spielzeit: Das Personal gilt als zweitklassig
Verglichen mit England, Spanien und Italien ist Deutschland ein Schwellenland im Fußballkapitalismus.
Freunde von Untergangsszenarien sollten sich an dieser Stelle verabschieden. Denn dieser Text beschreibt einen Aufschwung: Er verneigt sich vor der Fußball-Bundesliga und der am Samstag zu Ende gehenden Saison. Die darf gelten als eine der attraktivsten und fußballerisch besten seit Gründung der Spielklasse 1963.
Wann konnte man in der obersten deutschen Profiliga jemals zuvor eine Vielzahl solch spektakulärer Begegnungen verfolgen? Um nur einige zu nennen: Das 5:2 von Bayer Leverkusen gegen die TSG Hoffenheim am 3. Spieltag. Das 5:2 von Werder Bremen bei Bayern München am 5. Spieltag. Oder das 4:3 des VfL Wolfsburg gegen den FC Schalke am 24. Spieltag. Der Höhepunkt der Saison aber bleibt das 5:4 von Bremen gegen Hoffenheim am 6. Spieltag: Eine der hochwertigsten Aufführungen von Offensivfußball in dieser Spielzeit weltweit. Fußball von seiner schönsten und aufregendsten Seite, bislang untypisch für die Bundesliga. Fußball, wie man ihn an guten Tagen in Madrid, Barcelona, Mailand oder London zu sehen bekommt. Fußball auf dem aktuellen Stand seiner technisch-taktischen und ästhetischen Möglichkeiten.
Die Fußball-Bundesliga präsentiert sich, wenn man dieses Wort benutzen möchte: modern. Taktisch variabel, offensiv und - was dem deutschen Fußball gern abgesprochen wird, auch vom eigenen Bundestrainer - temporeich. Die Hipp-hipp-hurra-Mentalität fortschrittsresistenter Sportkameraden gehört der Vergangenheit an, die Liga hat sich nach Jahren der Rückständigkeit erfolgreich an den Tropf der Gegenwart gehängt. Und ihre Defizite gegenüber den führenden Ligen in Spanien, England und Italien abgearbeitet.
Noch nie haben in der Liga so viele Trainer gewirkt, die für einen Fußball stehen, der nach vorne zielt und auf möglichst viele Tore aus ist. Bruno Labbadia, Ralf Rangnick, Jürgen Klopp, Markus Babbel, Martin Jol, Thomas Schaaf und Felix Magath lassen stürmen, dass die Abwehrreihen knirschen und knarren. Für die Statistiker: In der Saison 2007/2008 erzielten die Bundesliga-Profis 860 Tore, im Jahr davor 837. Vor dem heutigen Spieltag trafen sie 860-mal. Die Bundesliga spielt offensiver, die Null muss nicht mehr so krampfhaft stehen. Der VfL Wolfsburg hat am meisten, bislang 75 Treffer erzielt. "Man braucht insgesamt über 70 Tore, um in der Spitze mitzuspielen", sagt HSV-Trainer Martin Jol, der unzufrieden ist mit seinem ersten Jahr in Hamburg. Vor allem mit der schlechten Quote von 45 Toren. Aber das ist auch eine Frage des Personals, über das noch zu reden ist.
Was der Bundesliga anhing, war der Geruch der Zuspätgekommenen. Den hat sie erfolgreich zerstäubt. Taktik ist längst keine Vokabel mehr, die unter dem Verdacht fußballfremder Intellektualität steht. Galten Raumdeckung und Defensivketten vor wenigen Jahren noch als Hirngespinste dreimalkluger Fußballlehrer, beherrscht heute jeder Zweitligist mehrere taktische Systeme. Ein anderer Makel, der die Liga befleckt, ist ihre Unfähigkeit internationales Tempo zu gehen. Zu Unrecht: Die Bundesliga ist schneller geworden, und nicht nur weil Franck Ribéry mitspielt. Als der HSV im Uefa-Cup-Viertelfinale auf die Startruppe von Manchester City traf, waren es nicht die Engländer, die das Tempo erhöhten.
Ein Handicap allerdings hat die Bundesliga: Sie hat Probleme, überdurchschnittliches Personal zu finden. Das ist schwierig, wie in fast allen Branchen zu hören ist. Verglichen mit Nationen wie England, Spanien und Italien ist Deutschland ein Schwellenland im entfesselten Fußballkapitalismus. Dass die Bundesliga in internationalen Vergleichen nicht nur gut aussieht, ist vor allem dem Personal geschuldet, das im Vergleich mit den internationalen Spitzenklubs als zweitklassig gilt - von Durchreisenden wie Diego abgesehen. Dafür macht die Liga viel aus ihren Möglichkeiten. Man darf sich freuen, auf die nächste Bundesliga-Saison.
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