: Am Ende der Flucht ein Formular der Verfolger
■ Iranischen Asylbewerbern wird ein Formular des iranischen Konsulats über Fluchtgründe und Fluchtwege vorgelegt
Den iranischen Flüchtling A. erfaßte Panik, als er Ende April in Berlin seinen Asylantrag stellte: Ihm wurde von einem Beamten des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ein zweiseitiges Formular des iranischen Konsulates in Bonn vorgelegt. Er sollte darin unter anderem beantworten, wann und warum er den Iran verlassen habe, welche Grenze er zum Verlassen des Landes benutzt habe und warum er einen Asylantrag gestellt habe.
A. weigerte sich, das Formular auszufüllen, weil er befürchtete, die Angaben würden sofort an das iranische Konsulat weitergegeben. Bei ihm sei der Eindruck entstanden, daß deutsche und iranische Behörden zusammenarbeiteten, berichtet Nasrin Bassiri vom Verein iranischer Flüchtlinge. Der Beamte hätte A. erklärt, er müsse das Formular unterschreiben, wenn nicht sofort, dann bei seinem Anhörungstermin am nächsten Tag, sonst müsse er mit Nachteilen für sein Asylverfahren rechnen. A., der erst drei Tage zuvor in der Bundesrepublik angekommen war, hätte daraufhin das Gefühl gehabt, „in der Falle der islamischen Regierung“ zu sitzen, sagt Bassiri. Er habe seinen Asylantrag zurücknehmen und in ein sicheres Land fahren wollen. Erst nach längeren, klärenden Gesprächen sei er bereit gewesen, seinen Entschluß fallenzulassen. Bassiri fragt sich, ob dieser „unglaubliche Vorgang“ zum Ziel habe, „Flüchtlinge abzuschrecken“, oder einer „umfassenderen Zusammenarbeit mit der iranischen Regierung dient“.
Der Vizepräsident des Bundesamtes, Wolfgang Weickhardt, bestätigte, daß die beiden Formulare den iranischen Flüchtlingen bundesweit „routinemäßig“ vorgelegt werden, wenn sie Asyl beantragen. Das Formular der iranischen Botschaft werde zusammen mit einem deutschen Formular vorgelegt, in dem zur Beschaffung eines Paß- Ersatzes Personalien abgefragt würden. Das iranische Konsulat verlange „darüber hinausgehende Daten“, deshalb lege das Bundesamt seit März zusätzlich das iranische Formular vor. Zuvor sei für die Paßbeschaffung der Bundesgrenzschutz zuständig gewesen.
„Das Ausfüllen des Formulars ist freiwillig“, betont Weickhart. Das Vorgehen sei auch durch das neue Asylverfahrensgesetz gedeckt, das in Paragraph 43 b die Beschaffung eines Paß-Ersatzes „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ vorsehe, sagt Weickhardt. Das Bundesamt schießt hier aber eindeutig über das Ziel hinaus. Weickhardt räumt ein, daß sich Paragraph 43 b nur auf Flüchtlinge bezieht, die verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, und deren Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ eingestuft wird. Dies läßt sich jedoch zum Zeitpunkt des Asylantrags noch gar nicht feststellen. Zudem gibt es Weickharts Angaben zufolge derzeit kaum „offensichtlich unbegründete“ Asylanträge von Iranern. Es handle sich um eine „rein vorsorgliche Maßnahme“, erklärte er. Er räumt ein, man müsse „überlegen, ob es Sinn macht, die Formulare bei der Antragstellung vorzulegen“.
Bedenken, daß dem Flüchtling bei einer Ablehnung des Asylantrags und der Rückkehr in den Iran Nachteile entstehen könnten, weil er sich gegenüber dem Konsulat zu Fluchtgründen und Fluchtwegen geäußert habe, teilte Weickhardt nicht. Für das Bundesamt stelle sich vielmehr die Frage: „Was muß ich tun, um einen Paß-Ersatz zu bekommen, und wenn eine Botschaft da ein besonderes Formular vorsieht, ist zu versuchen, daß das ausgefüllt wird.“ Einer „besonderen Rechtsgrundlage“ bedürfe die Vorlage des iranischen Formulars nicht.
Im Falle des Flüchtlings A. war die übertriebene Eile völlig überflüssig. Denn A. war im Besitz eines bis September 1996 gültigen Passes. Und den hatte er, wie er auch dem Beamten des Bundesamtes mitteilte, gegen eine Quittung bei der Ausländerbehörde abgegeben. Dorothee Winden
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