: Am Bildrand weht die Flagge ohne Triumphgeheul
Richard Linklater liebt die Loser in seinem Baseball-Film „Die Bären sind los“
„Ihr stolpert doch schon beim Stehen!“, lautet eine der gehässigen Bemerkungen, die den Bears entgegenschallen, sobald sie ein Spielfeld betreten. Gute Baseball-Spieler sind die dementsprechend meist übellaunigen Buben wirklich nicht, genau genommen sind sie echte Nieten. Aber auch Nieten haben eine Chance verdient, und deswegen bekommt der zusammengewürfelte Sauhaufen den passenden Coach: Morris Buttermaker (Billy Bob Thornton), in grauer Vorzeit für einige wenige Sekunden als Baseball-Profi tätig und nunmehr als Kammer- und Schürzenjäger sowie Gewohnheitstrinker auf der Verliererstraße unterwegs. Buttermakers Elan hält sich in dementsprechend engen Grenzen. Er nimmt die vielsprachig fluchende Schar zunächst einmal zum Rattenfangen mit. Das mit dem Training …, tja, nun ja …, vielleicht ein andermal … Doch nach der nächsten, vernichtenden Niederlage, die den Bears von den (nomen est omen) Yankees, dem ewig besten Team von Coach Roy Bullock (Greg Kinnear), beigebracht wird, erwacht Widerstandsgeist. Und als die Bears in der Liga der Schulmannschaften immer weiter aufzusteigen beginnen, vergeht den Yankees das Lachen.
Buttermaker und seine Gurkentruppe lehrten ihre überambitionierten Rivalen bereits einmal das Fürchten. 1976, in Michael Ritchies „The Bad News Bears“, stand der große Grantler Walter Matthau dem Team vor und wuchs an seiner schier unmöglichen Aufgabe. In Richard Linklaters aufrichtig unkorrektem Remake füllt Thornton Matthaus zweifellos große Fußstapfen mühelos aus und erinnert mit seiner genussvoll zur Schau gestellten Liederlichkeit an den lasterhaften Weihnachtsmann Willie T. Stokes, den er in „Bad Santa“ spielte. Kein Zufall, stammt das Drehbuch zu „Die Bären sind los“ doch von Glenn Ficarra und John Requa, die auch das bissige Anti-Weihnachtsmärchen schrieben. Hier wie dort rettet die nonkonformistische Außenseiterposition Kind und Kinderfeind vor der Zurichtung, beißt sich die nur an Erfolg und Wettstreit interessierte Gesellschaft am Bündnis der Loser die Zähne aus. Da das Spiel im Sportfilm immer auch symbolisch zu verstehen ist, stehen die Bears, diese multikulturelle Horde von Misfits, vor allem für eines: für das letzte Refugium einer sozialen Utopie, in der aus unterschiedlichen Schwächen gemeinsame Stärken entstehen können. Wenn Buttermaker mit der nonchalanten Bemerkung „das wird bestimmt lustig“ den Rollstuhlfahrer Matthew und den Träumer Timmy aufs Feld schickt, setzt er Spielfreude vor Ehrgeiz.
Linklater nutzt in „Die Bären sind los“ das Genre, um einen scharfen Kontrast zwischen angepassten Gewinnertypen und chaotischen Verlierergestalten herauszuarbeiten. Einen Kontrast, der dazu taugt, eine grundsätzliche Frage zu stellen: Wer ist Amerika? Sind es die Vertreter der Ellenbogengesellschaft, die Yankees? Oder ist es einer wie Garo Daragebrigadian aus Armenien, der bei den Bears spielt, weil er „amerikanische Sachen machen“ möchte? Und was sagt es über diese Gesellschaft aus, an der das Kind spielerisch teilhaben möchte, dass seine Integrationsanstrengung in einen unerbittlichen Konkurrenzkampf gezwungen wird?
Wo Linklaters Amerika zu finden ist, das zeigt die letzte Einstellung des Films, in der sich die Kamera über das Spielfeld erhebt, in die Ferne zurückzieht und am Bildrand groß die US-Flagge ins Bild nimmt. Die Flagge, eigentlich Symbol eines penetranten Triumphalismus, weht hier auch über jenen schlechten Baseball-Spielern, die sich um Sieg oder Niederlage nicht scheren. Sie weht am Rand, über den Ausgegrenzten, dort, wo sie früher einmal aufgestellt wurde und wo sie hingehört. ALEXANDRA SEITZ
„Die Bären sind los“. Regie: Richard Linklater. Mit Billy Bob Thornton, Greg Kinnear u. a. USA 2005, 113 Min.