: Am Anfang war schwarz
■ Copy-Sinfonie — Eröffnung einer Copy-Rauminstallation in der Angestelltenkammer
Nur zu viert dürfen wir den Raum betreten. Völlige Dunkelheit empfängt uns. Vorsichtig werden Sitzgelegenheiten ertastet. Sanftes Gemurmel verrät: Wir sind nicht allein. Minutenlange Finsternis.
Plötzlich schlagen Hände auf Papier, der fade Schein einer Taschenlampe erhellt partiell den Raum. Was ich sehe, bleibt immer schwarz-weiß. Sprechgesang, englische Sprachfetzen und Lautmalerei verbinden sich mit einem Kontrabaß zu einer rhythmischen Einheit. Dazu springt, hüpft, tanzt ein Mensch. Lichtquelle bleiben nur zwei Taschenlampen, mit denen eine Tänzerin mal sich, mal den Raum bruchstückhaft belichtet. Eine außergewöhnliche Eröffnung — die mit Opus I bezeichnete Copy-Sinfonie von Sabine Mariß, Gesang, Rainhart Hammerschmidt, Kontrabaß und Janine Jaeggi, Tanz — zu einer außergewöhnlichen Ausstellung: die Copy-Rauminstallation, eine Raum-Notation in Copy Dur von Werner Henkel.
Am Anfang war das Maisfeld — um genauer zu sein: Das Foto der Stoppeln eines Maisfeldes. Werner Henkel, ein des Notenlesens Unkundiger, sieht in den Ackerfurchen archaische Notenlinien, in den Stoppeln Notenhälse. Ein einziges Foto bleibt Arbeitsvorlage der späteren Installation. Jedes Detail wird herauskopiert, vergrößert, gelegentlich werden Stoppeln mit einem Tipp-Ex-Stift zu Noten verfremdet.
Neue überraschende Formen entstehen: 1/4, 1/8, 1/16 Noten (die mit den Balken und Fähnchen) chinesischen Schriftzeichen ähnliche Figuren. Der technische Zufall spielt mit: Ein Uralt-Kopierer gibt auf weißer Grundfläche nur noch schattenhafte schwarze Umrisse wieder, auf den fast schwarzen Kopien eines übertonten Gerätes ist nur schematisches Weiß erkennbar. Henkel experimentiert weiter: Er verdoppelt auf Kopierfolie, er belichtet auf Notenpapier, verwischt die Vorlagen während des Kopiervorganges. Es entstehen immer andere, immer neue Formen von „Wirklichkeit“; mehrere hundert „endgültige“ Einzelkopien. Prozeßhafte Aneignung eines Raumes.
Ein typischer unausgebauter Dachraum mit Schrägen und den unvermeidlichen Längspfeilern. An die schrägen Seiten hängt Henkel die Kopien nur mit einem Stück Klebeband, von links wird schwarz zu weiß, von rechts weiß zu schwarz. Zwischen den Säulen gespannte „Notenlinien“ als schwarzes Band, als Draht und als transparenter Nylon, kontrastierend in der Farbe zu der dahinterliegenden Wand. Ein Gesamtkunstwerk im wahrsten Sinne des Wortes. Jörg Oberheide
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