"Altpapierkrieg" im Emsland: Gute Tonnen, böse Tonnen
Seit die Preise für Altpapier gestiegen sind, ist aus dem Abfall ein umkämpfter Rohstoff geworden. Besonders hart wird im Emsland gekämpft.
EMSLAND taz Und dann waren sie auf einmal da, die blauen Tonnen. Nicht die schwarzen mit dem blauen Deckel. Sondern die komplett blauen Tonnen, die von den anderen, den Neuen. Doch nutzen wollte sie im emsländischen Lingen kaum jemand. Einige der leer gebliebenen Tonnen wurden vom Wind umgeweht, andere bekamen einen Fußtritt ab. Schon bald lagen etliche auf den Gehwegen - ein ungewohnt wüster Anblick in den sonst so gepflegten Siedlungen am Rand von Lingen. Als sich auch noch Lingens Oberbürgermeister Heiner Pott darüber empörte, dass die Firma ES Entsorgungsservice aus dem benachbarten Wesuwe ihre blauen Tonnen "unangekündigt vor die Haustüren gestellt" habe, war klar, dass die Offensive scheitern würde. "Wir haben 10.500 Tonnen verteilt", sagt der Firmeninhaber Reinhold Schmidt, "und mussten 7.000 wieder abholen."
Schlimmer erging es zwei geistig behinderten Mitarbeitern des St.-Vitus-Werkes. Im Meppener Stadtteil Esterfeld hatten sie Schmidts blaue Tonnen aufgestellt. Unbekannte lauerten ihnen auf, beleidigten und bedrohten sie und forderten sie auf, zu verschwinden.
Auslöser des Konflikts ist ein Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom Januar, der es gewerblichen Anbietern gestattet, Altpapier einzusammeln. Im Emsland kämpfen seither sechs Unternehmen und Vereine um die Dörfer und Städte des zweitgrößten deutschen Landkreises. Ihre Tonnen stellen sie kostenlos bereit und kassieren auch für die Entsorgung keine Gebühren.
Leisten können sie sich das, weil sich das Geschäft mit dem Altpapier mehr denn je rentiert. Dem Branchenreport Euwid zufolge lag der Preis für gemischte Ballen - das ist die schlechteste Qualität - im Herbst 2006 bei 55 Euro die Tonne. Seit August 2007 steht er bei 90 Euro.
Im vergangenen Jahr hätten die Papierfabriken eine halbe Million Tonnen mehr Altpapier eingesetzt als im Vorjahr, freut sich denn auch Jörg Lacher, der Sprecher des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung. "Die Papierindustrie stellt immer mehr Fabriken um, um auch mit Altpapier zu produzieren." Wegen der gestiegenen Energie- und Holzpreise sei es teurer geworden, Papier aus Holz herzustellen. Mit Altpapier hingegen lasse sich energiesparender und mit weniger Holzfasern arbeiten. Das hätten auch die Chinesen erkannt und kauften zunehmend den gebrauchten Rohstoff, was ebenfalls die Preise in die Höhe treibe. Außerdem steige der Papierverbrauch insgesamt, etwa weil der boomende Internetversandhandel mehr Verpackungen verschicke.
Seit das Geschäft mit dem Altpapier derart lukrativ geworden ist, versuchen immer mehr private Anbieter, daran mitzuverdienen. Gekämpft wird besonders um ländliche Regionen, in denen bislang oft Vereine oder gemeinnützige Tochterunternehmen der Kommunen das Papier einsammelten. Aber auch in Hamburg oder Karlsruhe tobt ein harter Konkurrenzkampf. Mal ist es eine Kommune, die sich ein Unternehmen vom Leib halten will, mal wetteifern verschiedene Privatfirmen, mal kämpfen gemeinnützige Vereine miteinander.
Mancherorts hat dies schon zu Prozessen geführt, deren Ausgang stets gleich ist: Landauf, landab haben Verwaltungsrichter den kommunalen Behörden verboten, private Tonnen zu verbieten. Weil der Gesetzgeber die Konkurrenz der Abfuhrunternehmen gewollt habe. Unruhen, Übergriffe oder Proteste hat es nirgends gegeben.
Außer im Emsland. Der dünn besiedelte Landkreis ist der westlichste Zipfel Niedersachsens. Seinen Ruhm begründen das Bentheimer Schwein, die Moorflächen und die hohe Geburtenrate. Die Emsländer gelten als sturköpfig, aber nicht als rebellisch: Wer eine Genkartoffel entwickelt hat, testet sie gern hier. Katholisch sind 80 Prozent der Bevölkerung. Daher ist es bemerkenswert, dass sogar die Lokalzeitung "Kolpingsympathisanten" als Verantwortliche des Übergriffs in Meppen ausgemacht hat.
Das Kolpingwerk ist der große katholische Sozialverband und eine Macht im tiefschwarzen Emsland. Diözesanreferent Silies betreut die rund 50 Kolpingsfamilien im Landkreis. Seit 20 Jahren sammele man zusammen mit 30 weiteren Vereinen Altpapier, sagt er. "Und ich bin zuversichtlich, dass wir das auch die nächsten 20 Jahre machen werden." Silies und die Kolpinger haben einen Kooperationsvertrag mit den Firmen Marthen, Augustin und Klumpe. Nicht aber mit Schmidt.
Der Anteil der Kolpingfamilie an der Sammlung fließt in Entwicklungshilfeprojekte, in karitative Werke und in die örtliche Vereinsarbeit. Silies sorgt sich, dass die Erlöse wegfallen könnten. Worte des Bedauerns über die Gewalt sind ihm nicht zu entlocken. "Auf dieses Niveau begebe ich mich nicht", lautet sein Standardkommentar. Stattdessen beklagt er sich über Fehlinformationen, die die Gegenseite verbreite.
Schmidt wiederum schimpft über "die kriminelle Energie, die manche Kolpingsfamilien an den Tag legen". Anders als in Lingen, wo er es allein mit einer gewerblichen Sammlung versucht hat, kooperiert er in Meppen mit einem gemeinnützigen Verein namens Cape Kids und hat dort derzeit die Nase vorn. Aufgegeben haben die Kolpinger aber noch nicht. Mit der Firma Haren verteilen sie grau-blaue Behälter, verschieben die blau-blauen und streuen das Gerücht, dass die ohnehin nicht geleert würden. Eine Kolpingsfamilie hat sogar einen Flyer gedruckt, der den Bürgern des Ortsteils Bokeloh weismacht, der Verein Cape Kids sei "ein in München börsennotiertes Unternehmen".
Tatsächlich hat der vor einem Jahr gegründete weltliche Verein Cape Kids seine Mitgliederbasis in der katholischen Gemeinde St. Clemens zu Wesuwe und unterstützt Kindergärten und Schulen in den Homelands Südafrikas. Selbst Silies nennt es "ein gutes Projekt". Bis zu 90 Prozent des Gewinns aus der Meppener Sammlung überlässt Schmidt dem Verein. Er hofft noch immer, den Konflikt vernünftig lösen zu können. "Wir sind doch alle Christen", sagt er.
Nach einer Entspannung im Altpapierkrieg sieht es derzeit aber nicht aus. Am Montag kündigte der private Entsorgers Remondis an, die kommunale Lüneburger Abfallgesellschaft GfA wegen Diebstahls anzuzeigen. Mitarbeiter der GfA sollen ihre Altpapiertonnen geleert haben. Die GfA hat das eingeräumt, spricht aber von einem Versehen.
Mitarbeit: Jost Maurin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!