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AltpapierDie Sieger von gestern

Einst heiß umkämpft ist der Altpapiermarkt mittlerweile kollabiert: Während kommunale Entsorger an Gebührenerhöhungen denken, üben sich Mittelständler in Zweckoptimismus - und Kreisverwaltungen fürchten sich vor dem Crash des Systems.

War mal mehr wert: Papier in der Sortieranlage in Flensburg. Letztes Jahr wurden pro Tonne etwa 80 Euro bezahlt, heute sind es noch fünf. Bild: DPA

Der Krieg ist vorbei. Aber bei den Siegern von einst herrscht heute oft Katzenjammer: Vor einem Jahr noch schienen die Preise fürs Altpapier ins Unermessliche steigen zu wollen, der Sekundärrohstoff galt als prima Beute. Je nach Zivilisierungsgrad wurde darum seinerzeit in den unterschiedlichen Regionen mit unterschiedlichen Mitteln gekämpft: Emsländer griffen zu Knüppeln und Verleumdungen, die Wettbewerber in Lübeck versuchten einander durch wildes Tonnenaufstellen zu verdrängen.

Anderswo ging man vor Gericht: So hatte die Firma Formata beispielsweise gegen den Landkreis Uelzen geklagt. Der hatte ihre blauen Tonnen verboten. Am 24. Januar 2008 beschloss dann das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, dass die angefochtene Untersagungsverfügung "einer Überprüfung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht standhalten" werde. Woraufhin die Verwaltung aufgab. Und Formata ihre Tonnen an die Haushalte verteilte.

Sie leert sie noch immer. Und sie bereut nichts: "Wir mussten damals klagen", sagt Formata-Geschäftsführer Dieter Ramacher. "Dabei ging es um unsere Zukunft." Die hat schon begonnen, wirkt allerdings dann doch eher düster: Der Verfall des Altpapierpreises ist mehr als dramatisch. Während im vergangenen Jahr für die Tonne des Sekundärrohstoffs im Durchschnitt über 80 Euro bezahlt wurden, gelten heute fünf Euro als sehr guter Preis - ein Sechzehntel also. Der Markt ist zusammengebrochen.

Altpapier-Spekulationen

Optionen auf einen Rohstoff mit extrem schwankenden Preisen erwerben - derlei ist dem Broker normalerweise Quelle feuchter Träume. Nur gab es früher eine gewisse Scheu, zugeben zu müssen, das Vermögen erst in Altpapier angelegt - und dabei dann verloren zu haben. Entsprechend unglücklich liest sich die Geschichte des Altpapierhandels an der Warenterminbörse Hannover. Mit viel Aplomb und Optimismus hatte diese Mitte 2000 "als weltweit erste" den Handel mit Altpapier-Futures eröffnet. Doch die Freude währte nicht lange: Der Handel kam "trotz marktseitiger Bekundungen", wie ein WTB-Sprecher betont, erst gar nicht richtig in Schwung. Und dem Renommée des Börsenplatzes wars auch abträglich: So verlachte Die Zeit die "brandheißen Termingeschäfte mit Altpapier" als Station einer "Höllenfahrt zu den letzten Abenteuern der Anlagewelt". Gemein! Und, wie wir heute wissen: Total ungerecht! Spott aber ist tödlich. Vor allem auf dem Parkett. Entsprechend leise wurde der Altpapier-Handel schon am 20. September 2002 beerdigt. Grundsätzlich, heißt es dazu derzeit seitens der WTB, würde man "den Handel mit Altpapierfutures gerne wieder aufnehmen". Aber erste Voraussetzung wäre ein "nachhaltig bekundetes Interesse der Altpapierhändler und Papierfabriken". Vielleicht bietet ja die Krise eine neue Chance für diese schönste aller Börsen-Fantasien.

Das sieht man auch bei Remondis so. Trotzdem wirbt der Riesen-Entsorger aus Lünen weiterhin offensiv darum, einen Anteil von Hamburgs Altpapier abzubekommen. "Kaufmannsgut, Ebbe und Flut", erklärt Firmensprecher Michael Schneider die Strategie: Bisher hat sich die Stadt erfolgreich gewehrt, ein mittlerweile merkwürdig anachronistisch wirkendes Verwaltungsgerichtsverfahren ist anhängig - und bei Remondis denkt man nicht daran, vorher aufzustecken. Noch im Januar lancierte das Unternehmen, es habe der Stadtreinigung ein Kooperationsangebot gemacht. Das beinhalte die Übernahme des Risikos sinkender Preise.

"Ein seriöses Angebot ist bei uns nicht eingetroffen", so deren Sprecher Andree Möller. Allerdings denkt man derzeit wirklich laut über mögliche Gebührenerhöhungen nach, es wäre die erste seit 2001. Der Altpapier-Gewinnausfall wäre aber nur eine von mehreren Ursachen - neben den um elf Millionen steigenden Personalkosten zum Beispiel: "Auf Basis der jetzigen Zahlen lässt sich aber keine seriöse Kalkulation durchführen", so Möller. Zwar ergäbe sich ein "theoretischer Ausfall von drei Millionen Euro", wenn man das Altpapier zum aktuellen Weltmarktpreis verkaufen müsste. "Wir haben aber alte Verträge", ergänzt Möller, "die gelten noch". Und wenn sie im April neu ausgehandelt werden, "hat sich die Lage vielleicht schon entschärft".

Das Prinzip Hoffnung kennt man auch im Uelzener Mittelstand: "Irgendwann", sagt Ramacher, "müssen die Preise auch wieder steigen." Die Frage ist nur, ob früher oder später - und ob alle, die sich das Recht auf blaue Tonnen erobert haben, auch so lange durchhalten können. Deshalb ist man auch in der Kreisverwaltung keineswegs nachträglich froh darüber, die Altpapier-Sammlung erzwungenermaßen abgegeben zu haben: Zwar zahle man derzeit wirklich nicht drauf, erfährt man aus der Verwaltung und es gebe im Moment auch keine Anzeichen dafür, dass die privaten Entsorger im eigenen Gebiet schlapp machen. Entsprechende Nachrichten aus anderen Regionen verfolge man aber mit Sorge.

Mitunter wirken die Signale aus der Branche wie bloßer Zweckoptimismus. Zum Beispiel Hannover: Dort hat das Privatunternehmen HVB Holler sich im vergangenen Jahr den Zuschlag fürs gesamte Altpapier der Region gesichert. Die Verträge laufen vier Jahre - und der Festpreis beträgt stolze 120 Euro pro Tonne. Im ARD-Magazin "Plusminus" hob Eigentümer Franz W. Holler hervor, auch er habe sich durch langfristige Verträge mit der Papierindustrie rückversichert. Das klingt erst mal solide. Bloß: Auch eine Papiermühle geht pleite, wenn sie für ihren Rohstoff 30-mal so viel bezahlt wie ihre Mitbewerberinnen. Wer Hollers Vertragspartner sind, war bis Redaktionsschluss nicht zu erfahren.

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