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Alternativer Ausbruch aus der Gettowirtschaft

■ Die „Teekampagne 87“ der Berliner „Projektwerkstatt“ / Teehandel als alternatives Demonstrationsobjekt / „Wer sich an der Börse auskennt, hat auch als Newcomer Chancen“

Von Jürgen Schulz

„Unsere Grundidee war zu zeigen, wie billig der Tee in Indien ist“, umreißt Günter Faltin, Professor für Wirtschaftspädagogik an der Freien Universität, den Gründungsgedanken der Berliner „Projektwerkstatt“. Aus diesem schlichten Motiv ist mittlerweile eine aufstrebende Tee–Importfirma entstanden, die - ohne nennenswertes Startkapital - gehörige Umsätze verbucht. In der noch bis Weihnachten laufenden Teekampagne konnten bis Mitte November bereits rund zwölf Tonnen Darjeeling „First Flush“ abgesetzt werden: annähernd die dreifache Menge, die im Startjahr 1985 KäuferInnen fand. Was die Gesellschaft bürgerlichen Rechts jedoch von anderen boomenden Unternehmen unterscheidet, ist die Verbindung von Handel mit der Umwelt– und Dritte–Welt–Diskussion. Denn während „die Großen“ ihre Kontingente unbesehen an der Börse in Kalkutta ordern, führt der Weg der Berliner daran vorbei. „An der Börse erfährt man nichts von Chemie–Rückständen“, so Faltin, und gerade darauf kommt es der „Werkstatt“ an. Sie bestellt nur Tees, die sowohl kostengünstig (dazu müssen die Börsenkurse studiert werden!) als auch möglichst frei von Chemie sind, damit der Verbraucher weiß, daß ihn einzig und allein das natürliche Aroma antörnt. Deshalb läßt die Firma mit Sitz in Moabit die „Samples“ (Produktproben), die die Anbieter versenden, in einem Labor prüfen und veröffentlicht die Analyse später auf jeder Verkaufspackung. Erst nach dem Laborbefund geht die Bestellung über Telex in das Erzeugerland. Trotz zusätzlicher Laborkosten unterbieten die alternativen Importeure die Preise der kapitalistischen Konkurrenz um mehr als die Hälfte. In Indien ist Tee „das zweitbilligste Getränk der Welt“ (Faltin), ungefähr zehn Mal billiger als bei uns. Selbst bei Addition von Tee– und Mehrwertsteuer, Transport– und Versicherungskosten bleibt immer noch genügend Spielraum für ein günstiges Angebot. Die Gewinnmarge erhält sich die Gesellschaft durch Ausschaltung preistreibender Zwischenhändler. Stattdessen wurde ein Hamburger Tee–Büro mit der Abwicklung der Geschäfte beauftragt. Günter Faltin: „Das Tee– Büro in Hamburg ist kein normaler Zwischenhändler. Wir verge ben Aufträge, aber wir behalten alles in der Hand.“ Diese Geschäftspolitik mache letztlich den wirtschaftlichen Erfolg aus, der sich auch in dem zwölf Mark (Mindest–)Stundenlohn ausdrückt, der den bis zu acht Mitarbeitern - Studenten und Absolventen der Wirtschaftspädagogik - ausbezahlt wird. Weil Profit nirgends so verdächtig macht wie im linksalternativen Spektrum, hat sich die „Projektwerkstatt“ etwas Besonderes einfallen lassen: Sie überweist den Lohnanteil - auf 100 Gramm Tee entfallen 30 Pfennig Lohnkosten - gleich zweimal nach Indien: einmal beim Bezahlen der Ware in Kalkutta - erst 90 Tage nach Verschiffung muß die Rechnung be glichen werden, deswegen ist auch kein großes Startkapital notwendig -, die zweite Rate wird nach dem Verkauf der Ware fällig. Allerdings geht die zweite Überweisung nicht an die Adresse der TeepflückerInnen in Darjeeling, wie es die Importfirma gerne sähe. „Uns wäre es viel lieber“, bedauert Faltin, „das Geld würde genau wieder in die Plantage gehen, wo wir den Tee kaufen.“ Aber in den Teegärten von Indien herrschen noch feudale Zustände. Die Besitzer der Anbauflächen würden das Geld einsacken, ohne daß die Arbeitskräfte davon überhaupt etwas erführen: „Zu glauben, daß man an denen vorbeikommt mit so etwas Kostbaren wie Devisen, ist völlig illusorisch!“ Also fließen die „zweiten 30 Pfennige“ in ein Selbsthilfeprojekt der „Aktion Solidarische Welt“, das in Südindien die Wiederaufforstung eines Gebiets um die Stadt Trivantrum betreibt. Die Zeichen in der Projektwerkstatt stehen auf Expansion. Man plant den Sprung ins Bundesgebiet, zunächst über die „Nordschiene“ Hamburg–Bremen, anschließend in südlichere Gefilde. Man will beweisen, daß man mit alternativer Ökonomie mehr erreichen kann, als lediglich eine Nische in der Gesamtwirtschaft auszufüllen, auf die sich viele Gleichgesinnte allzu gerne beschränken. Initiator Faltin zum geplanten Ausbruch aus der „Gettowirtschaft“: „Es gibt ja keinen Grund, daß wir uns mit Teehandel beschäftigen, wenn wir an der Stelle nichts Neues beitragen können, also ein Stück weiter sind als der Markt.“ Ein Alternativbetrieb als Schrittmacher des Kapitalismus? Wieso nicht! Schließlich haben die Teehändler von der Spree, die noch immer darunter leiden, als Uni–internes Projekt bezeichnet zu werden, obwohl sie völlig selbständig sind, nicht umsonst den Teehandel als Demonstrationsobjekt alternativer Tatkraft ausgesucht! Das Geschäft mit dem Plantagentrank steht ohnehin im Ruf, nicht besonders innovativ und experimentierfreudig zu sein. Die großen Londoner Importfirmen beispielsweise, bürokratielastig und nur durch ihre Labels im Kolonialdesign überzeugend, scheinen jedes Risiko zu scheuen. Sie beharren auf alteingefahrenen Wegen, die bislang immer noch zu prächtigen Gewinnen führten. Diskussionen um naturreinen Tee allerdings bleiben größtenteils außen vor: Die besten Voraussetzungen somit für Newcomer wie die „Projektwerkstatt“. Selbst im Erzeugerland Indien haben die bis dato drei Teekampagnen für einigen Wirbel gesorgt. So verlautete aus gut unterrichteten Kreisen der Teebörse in Kalkutta, dem Hauptumschlagplatz der begehrten Pflanze, daß der „Indian Tea Board“, die oberste nationale Tee–Behörde Indiens, von solchen Aktionen bisher nur träumen konnte. Denn der Handel mit chemisch unbedenklichen Tees würde dem indischen Exportprodukt neue Absatzmärkte in Europa erschließen sowie die Beschäftigung im Inland sichern. Bedenken, die übermächtige Konkurrenz könnte durch unlautere Mittel den Erfolg des aufblühenden Unternehmens durchkreuzen, weist Peter Lange von der „Projektwerkstatt“ zurück: „Das ist gedacht wie klein Fritzchen!“, entspreche aber der Meinung vieler Skeptiker der „freien Marktwirtschaft“. Bis jetzt habe er lediglich „Haßausbrüche einiger Individuen“ bei Verkaufsaktionen miterlebt. Die Großen fressen also die Kleinen nicht in jedem Fall. Vielmehr, ergänzt Günter Faltin, sei es - dank der Modernisierung und Standardisierung im Welthandel - auch „Außenseitern“ möglich, Erfolg zu haben: „Früher war der Handel nicht so transparent. Börsen sind im Prinzip offen. Wenn man die Verfahren an der Börse einhält und sich auskennt, führt das dazu, daß man auch als Newcomer ungefähr zu den gleichen Bedingungen einkaufen kann wie die Großen.“

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