Alternative Abrechnungsmodelle sind gefragt

■ Ab dem 1. Juli kann jeder Hausarzt pro PatientIn und Quartal nur ein zehnminütiges Gespräch abrechnen. Hausärzteverband hält dies jedoch für unzureichend

So sehr sich der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Roderich Nehls, auch müht, die rückwirkende Honorarkürzung als Maßnahme für eine „gerechte Verteilung“ darzustellen, eine gewisse Ambivalenz gegenüber der „sprechenden Medizin“ scheint immer wieder durch. „Wenn ein Arzt mehr als 15 Minuten mit dem Patienten redet, spricht dies für ärztliche Unprofessionalität“, sagt Nehls. Sein Kollege, Hans-Georg Fritz, Chef des Landesverbandes Deutscher Internisten, setzt noch eins drauf: „Ich habe Sorge, daß die Allgemeinmediziner in eine Betreuungsfunktion abrutschen und zum Ersatz für Pfarrer und Sozialamt werden.“ Die kassenärztliche Vereinigung, die über die interne Verteilung der Gelder entscheidet, ist fest in den Händen der Ärzte, die Gespräche in erster Linie als „Marketing“ (Nehls) sehen und nicht als zentrale Aufgabe eines Arztes.

Nach Hochrechnungen der KV wurden seit Januar 20 bis 30 Prozent mehr ärztliche Leistungen abgerechnet als im Vorjahr. Während die KV über die Verteilung auf sprechende und apparative Medizin noch nichts sagen kann, geht Rita Kielhorn, Vorsitzende des Hausärzteverbandes (BPA), davon aus, „daß nur 10 Prozent mehr Gesprächsleistungen abgerechnet wurden. Die übrigen 20 Prozent Mehrabrechnung entfielen auf die Apparatemedizin“. Damit müßten die Hausärzte ausbaden, was eigentlich den Fachärzten anzulasten sei. Da das Budget für Gesprächsleistungen um acht Prozent aufgestockt worden war, hätten die Ärzte nach Kielhorns Rechnung diesen Etat nur um zwei Prozent überzogen. „Hier wird mit falschen Karten gespielt“, wirft Kielhorn der KV vor.

Auch die neue Regelung, die ab 1. Juli gilt, hält die Sprecherin der Hausärzte für unzureichend. Danach kann jeder Hausarzt bei zwei Drittel seiner Patienten ein zehnminütiges Gespräch abrechnen. Für das übrige Drittel muß das kurze Gespräch, das in der Ordinationsgebühr enthalten ist, ausreichen. Überschreitet der Arzt sein Gesprächsbudget, leistet er weitere Unterredungen unbezahlt. Dennoch kann sich Kielhorn nicht vorstellen, daß Ärzte jetzt verstärkt auf die Uhr schauen. Psychosomatisch Erkrankte, die etwa 40 Prozent der Patienten ausmachten, brauchten mehr als nur ein Gespräch pro Quartal, sagt Kielhorn. Da sie glauben, körperlich erkrankt zu sein, müsse der Arzt sie häufig erst davon überzeugen, daß die Symptome anderen Ursprungs seien. „Die Annahme, daß dies in zehn Minuten geht, ist grotesk“, so Kielhorn.

Das Debakel um die nachträglichen Honorarkürzungen veranlaßt die beiden Gegenspieler KV-Präsident Nehls und Ärztekammerpräsident Ellis Huber immerhin zur gleichlautenden Feststellung: der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM), nach dem ärztliche Leistungen abgerechnet werden, ist am Ende. So problematisch die Budgetierung von ärztlichen Leistungen ist, sie erhöht in der Ärzteschaft zugleich den Druck zu Reformen.

Doch die Suche nach alternativen Vergütungsmodellen gestaltet sich schwierig. Ärztekammerpräsident Huber schlägt schon seit Jahren vor, Ärzte nach der aufgewendeten Zeit zu bezahlen. Das hat den Vorteil, daß diejenigen, die mehr Leistungen abrechnen, als sie tatsächlich erbringen, bei Plausibilitätsprüfungen leichter zu fassen sind. Denn Zeit ist nicht vermehrbar. Doch in der Ärzteschaft findet sein Vorschlag wenig Anklang: „Die Ärzte wollen einen gewissen Bezug zur Leistung sehen“, sagt Rita Kielhorn. Ob ein Arzt in der Zeit einen Grippepatienten behandle oder einen Schwererkrankten, müsse unterschiedlich honoriert werden. Denkbar sei daher eine Mischform aus einer Grundgebühr, die dann mit einer leistungsbezogenen Komponente kombiniert werde. Dorothee Winden