: Alternativ-lustige Pappnasen
Weil Köln mit Rosenmontagszügen das bundesdeutsche Fernsehpublikum langweilt und die Kappenschädel der Karnevals-Korps die Alternativen der Weltstadt zu Schreikrämpfen treiben, haben sich einige vor fünf Jahren den Gegenkarneval ausgedacht. Jetzt toben sie wieder. Statt des Dreigestirns aus drei humorlosen Männern hält das Breigehirn Einzug. Gerade wickelten die Alternativ- Karnevalisten eine pannenreiche Premiere ab und werden bis zum Aschermittwoch auf 15 Veranstaltungen 6.000 BesucherInnen zeigen: Es geht auch anders.
Der Vorpremierenauftakt war grandios. Die Veranstaltung der alternativen Karnevalsjecken mit dem programmatischen Titel „Stunksitzung“ warb mit einem anstößigen Plakat. Das Barschelfoto aus dem Stern, leicht verfremdet mittels eines aufmontierten Kopfes, dem von Zimmermann mit Narrenkappe, forderte: „In die Bütt!“ (Was auf Kölsch sowohl Badewanne als auch Rednerpult bedeutet) und versprach: „Stunksitzung. Ehrenwort.“ Die Kölner Polizei, geschichtsbewußt in der Verfolgung aufmüpfiger Karnevalisten, witterte gleich zweifach Ungesetzliches: Verunglimpfung des Andenkens eines Toten und sogar Aufforderung zu einer strafbaren Handlung. Ermittlungen wurden angekündigt. Der offizielle Karneval reagierte empört. Was Wunder? „Von Zoten und von Knoten frei die Narre tei“, hieß es schon zu anderen trüben Zeiten, als nach dem gescheiterten 1848 die Anständigen im Lande die Zügel strafften.
Die Stunksitzung, anders als ihre negativen Vorbilder mit den oft dünnen bis dümmlichen Mottos (wie das gerade zitierte von 1851), hat keinen Leitspruch. Sie begnügt sich mit der bescheidenen Ankündigung, penetrant und geschmacklos sein zu wollen. Also wimmelt es im vierstündigen Programm aus Sketchen, Parodien und Musik von Blasphemie, Sympathisantentum und Schmäh auf alle Mehrheiten. Die Grünen Fundis zum Beispiel überschüttet das beinamputierte Mitglied der Initiative für multiplen Geistesschwund (Realo-Flügel) mit einer gepfefferten Tirade und dem Abschlußgreinen, daß es doch nicht darum ginge, zu ersaufen in dieser finstren Welt, sondern vorher noch ein bißchen mitzuplanschen. Oder es revoluzzt das Terroristenquartett von der Gnlpft (GruppeNeueLinkePartisanenFront – „das t ist wegen der Ästhetik“), das sich seine Kommandoerklärung vom entführten Umweltbeauftragten des Wienerwaldkonzerns Geiermeier diktieren läßt. Weil er doch schon weiland 68 dabei war und immer auf der Seite der Unterdrückten usw.usf. Seine Idee, den Hauptfeind, den US-Imperialismus, durch einen Kakerlaken-Anschlag auf McDonalds ins Mark zu treffen, wird jubelnd aufgenommen. Natürlich auch vom teils geschminkten und ver mummten Publikum, das sich unmittelbar danach auf Geheiß des Elferratspräsidenten ins Schunkel-Hin-und-Her schmeißt. Zum Walzerrhythmus auf „I cant get no satisfaction“.
Der Präsident, Irokesen-Heinz nennt er sich und sieht auch so aus, stellt hernach verwundert die prompte Durchführung seiner Anordnung fest: Mit dem Schunkeln habe es bisher immer Probleme gegeben, die Alternativen hätten sich da doch noch eher geziert. Droht der alternative Sitzungskarneval schon wieder zu erstarren? Gewöhnlich zu werden? Außer der straffen Regie, die eine Frau aus dem Elferrat über die wild und bunt Geschmückten auf dem Podium zu führen versucht und mit der sie einheitliches Handschwenken und Armkreisen da oben durchsetzen will, besteht glücklicherweise zu derartigen Befürchtungen noch kein Anlaß.
Zumal dieses Jahr auch das Fernsehen nicht dabei ist, was ja immerhin auf eine gewisse Etablierung hätte schließen können. Es ist aber, wie gesagt, nicht dabei. Vielleicht weil auch schon das Programm im letzten Jahr prallvoll mit Gotteslästerung war? Der gekreuzigte Christus im original gewickelten Lendenschurz und davor der (allerdings nicht original ) onanierende Pfarrer mit dem gequälten Refrain auf den zusammengebissenen Lippen: „Doch der Genuß – der muß“?! Außerdem steht auch noch ein Prozeß aus der letzten Session an, weil Aktivisten und Freunde der Stunksitzung einen Bayer-Manager der „Ostermann-Folter“ unterwerfen wollten, wegen Umweltschweinerei: In der dunklen Nacht schlichen sie sich vor das traute Heim desselben und sangen in einem fort und stundenlang ein unsägliches Karnevalslied von Willi Ostermann, dem Kölner Barden aus der guten alten Zeit.
Die Geschichte des Karnevals ist eine der Rebellion gegen Kirche, Staat und Mächtige – allerdings auch eine, bei der auf längere Sicht die Widerständigen immer in der Minderheit blieben und die Lauen das Ruder behielten. Damit kein falscher Eindruck aufkommt: Die Stunksitzung, veranstaltet vom FKK (Freier Karneval Köln) und dem Kölner Spielcirkus, stieg nicht als Phönix aus der Asche linker Geschichtsbetrachtung. Er entstand aus Lust am Karneval und Frust darüber, daß ausgerechnet zu dieser Narrenzeit politischen Dünnbrettbohrern die Bühne gehörte und Kulturverflachern das Scheinwerferlicht galt. Ohne jede Konkurrenz. Jetzt spielt sie mit, die Konkurrenz, im fünften Jahr. Hoffentlich kriegt nächstes Jahr das Fernsehen doch wieder die Kurve, damit auch mal Auswärtige rebellischen Karneval zu sehen kriegen. Obwohl: Jakobiner wie Jesuiten haben in der Vergangenheit den aufmüpfigen Karneval verboten. Warum sollten dann die Norddeutschen jemals verstehen, was jetzt in Köln abgeht? Albrecht Kieser
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