Alter ist keine Krankheit

Gesund alt werden ist für viele Menschen nur ein Traum. Bei vielen Altersbeschwerden kann die Anti-Aging-Medizin nicht helfen. Die beste Prophylaxe ist gesunde Ernährung und regelmäßig Sport

VON WERNER LOOSEN

Schon macht das böse Wort die Runde, die einzelnen Körperteile an einer bestimmten Person seien unterschiedlich alt. Das bezieht sich auf die Ergebnisse der so genannten Schönheitschirurgie. Auch dahinter steckt der Gedanke: Natürlich will jeder Mensch alt werden, nur: möglichst ohne die Beschwerden, die das Altern mit sich bringt! Schon steht eine ganze Phalanx von Gurus bereit, die unter dem Schlagwort „Anti-Aging“ allerlei Versprechungen abgeben, die teilweise unhaltbar sind, die aber auf jeden Fall die Kassen der jeweiligen Ärzte füllen helfen.

Ärgerlich ist es, wenn in einer deutschen Publikumszeitschrift ein US-amerikanischer Hautarzt mit den Worten zitiert wird: „Das Alter ist eine Krankheit. Genau wie Grippe oder Migräne.“ Dazu sagt Professor Christoph Bamberger, Jahrgang 1965 und Leiter einer neuen „Hormon- und Anti-Aging-Sprechstunde“ am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf, das Altern selbst sei kein Erkrankungsprozess, wenn es auch mit zahlreichen Krankheiten assoziiert sei, etwa Tumoren oder Arteriosklerose.

„Ich bin überzeugt“, so Bamberger, „dass der Mensch generell in der Lage ist, 50 Prozent dieser so genannten Alterskrankheiten selbst zu beeinflussen, sei es durch Bewegung, sei es durch eine vitaminreiche Ernährung, sei es durch weisen Genussmittelkonsum. Und der Arzt, sein Hausarzt, der Gynäkologe, der Urologe – sie alle können dem alternden Menschen dabei helfen. Ganz besonders wichtig aber ist der Arzt bei der Prävention, denken Sie an das Prostata- oder das Mammakarzinom.“

An diesem Punkt werde zu wenig getan. Hinzu komme schließlich die Hormonsubstitution, mit deren Hilfe Alterungsprozesse erträglicher gemacht werden könnten. „Genau hier sind wir aber erst am Anfang, wenn es um den Mann geht, auch wenn die Anti-Aging-Welle das Gegenteil behauptet. Bei der Frau sind wir rund 30 Jahre weiter, wir haben einige positive Ergebnisse, aber: Wir können immer noch keine langfristigen Voraussagen machen. Also: Es gelingt uns nicht, das Altern selbst aufzuhalten und die Erkrankungen, die damit assoziiert sind, gänzlich auszuschalten. Aber wir können als Ärzte lindernd eingreifen.“

Der umstrittene Begriff „Anti-Aging“ gaukelt nach Ansicht vieler Fachleute etwas vor, was niemand einlösen kann. Zwar kann der Arzt medikamentös die Folgen des Alternsprozesses oder die mit dem Altern assoziierten Ausfallerscheinungen lindern oder neutralisieren, er kann subjektives Wohlergehen fördern oder vielleicht die dem Tod unmittelbar vorausgehende Krankheitsphase abkürzen, aber er kann nicht verhindern, dass ein Mensch alt und hinfällig wird.

Die mit Anti-Aging-Programmen angebotenen Dienstleistungen suggerieren fälschlicherweise auch, dass Probleme und Aufgaben medikamentös gelöst und das heißt: auf den Arzt übertragen werden können, wo der Einzelne mit Eigenleistungen mindestens genauso gefragt ist wie der Arzt. Trotzdem erwarten breite Bevölkerungsteile von dieser Bewegung, sie könne das Alter ausschalten und das auch noch auf Kosten der Allgemeinheit. Nach dem Motto „Doktor, mach mal“. Das ist bequemer, als einem Forschungsergebnis zu folgen, demzufolge das Infarktrisiko durch dreimaliges schnelles Gehen in der Woche um 30 Prozent reduziert werden kann.

Christoph Bamberger geht noch einen Schritt weiter, wenn er sagt, Anti-Aging habe wenig mit Medizin zu tun, „wohler wäre mir mit einem Begriff wie Prävention oder Gesund altern“, leider sei dies weniger einprägsam und öffentlichkeitswirksam.

Worauf sollen wir achten, wenn wir den eigenen Alterungsprozessen etwas entgegensetzen und dabei nicht auf ärztliche Hilfe verzichten möchten? Zunächst: nicht jedem Versprechen oder einer Bezeichnung wie „Anti-Aging-Experte“ vertrauen. Nach den Worten von Professor Bamberger gehört zu den Voraussetzungen für die entsprechenden Behandlungen eine umfassende internistische oder allgemeinmedizinische Ausbildung. Wünschenswert sei die endokrinologische Fortbildung.

„Auf jeden Fall sollte ein solcher Kollege interdisziplinär arbeiten“, meint Bamberger. „Wer vor allem Frauen behandelt, sollte in Zweifelsfällen einen Gynäkologen konsultieren, für Männer steht der Urologe bereit. Eine Hormonersatztherapie sollte kein Kollege ohne endokrinologische Ausbildung anbieten, er sollte also umfassend Bescheid wissen über die Lehre von den inneren Drüsen!“

Im schlimmsten Fall könne es passieren, dass ein Mann in die Sprechstunde komme und darüber klage, dass er ständig abgeschlagen sei. „Es wäre falsch, diesen Mann nach fünf Minuten mit 50 Milligramm DHEA, einer vielfach zum ‚Jungbrunnen‘ hochstilisierten Hormonvorstufe, zu entlassen. Wer das tut, hat vier Fehler begangen: Er hat nicht gründlich untersucht und mögliche Ursachen für das Abgeschlagensein ausgeschlossen; er hat die Prostata des Mannes nicht untersucht beziehungsweise untersuchen lassen; er hat keinen Hormonspiegel gemessen; er hat schließlich den Patienten nicht zu einer Kontrolluntersuchung bestellt.“

Es kann also nicht darum gehen, Falten wegzuspritzen oder Fett abzusaugen. Gerade beim alternden oder alten Menschen muss der Arzt sich besonders viel Zeit nehmen für eine gründliche Untersuchung. Die Patientin, der Patient kann dann leicht feststellen, ob sie oder er sich von diesem Arzt gern weiter betreuen lassen möchte, wenn die mit dem Alter einhergehenden Beschwerden zunehmen.