piwik no script img

AltenpflegeWer kümmert sich?

Halbqualifizierte Kräfte aus Osteuropa pflegen unsere Alten. Die Vermittlungsagentur McPflege macht sie legal. Nun schreien die etablierten Dienste: Lohndumping!

Aus dem Schattendasein der Illegalität geholt: McPflege-Joberinnen Bild: dpa

Keiner hätte damit gerechnet: Opa hat doch immer viel Wert darauf gelegt, alles noch selbst zu erledigen und sah auch wesentlich jünger aus als seine 84 Jahre. Doch über Nacht wird der rüstige Rentner zum sabbernden Greis - Schlaganfall. Ein fast schon alltägliche Geschichte.

In 4,5 Millionen Haushalten wohnen pflegebedürftige Menschen, doppelt soviele wie offiziell als Leistungsberechtigte bei den Pflegekassen registriert sind. Und es werden mehr. Kaum jemand stirbt heute noch eines natürlichen Todes, mit der Diagnose Schlaganfall oder Herzinfarkt überlebt man dank der Kunst der Ärzte und der Apparate. Aber wie das Leben nach der Entlassung aus dem Krankenhaus weitergeht, dafür existiert kein Notfallplan.

Die Angehörigen - meist sind es die Töchter, Schwestern oder Ehefrauen, die sich für die Pflege zuständig fühlen - sind mit so einer Situation unweigerlich überfordert. Da ist der Mensch, der rund um die Uhr Hilfe braucht, dort sind Pflegedienste, die eine Stunde am Tag vorbeikommen, wo sollen sie Hilfe für die restlichen 23 Stunden finden? Bei uns, meint die Vermittlungsagentur Mc Pflege. Die Bremer Agentur vermittelt osteuropäische Pflegerinnen in den Haushalt, damit sie 24 Stunden um Opi herum sind: ihm den Speichel abwischen, über die Glatze streichen und vor dem Einschlafen die Hand halten. Das Rund-um-Paket kostet zwischen 1.500 bis 1.700 Euro und ist zudem legal.

Die Pflegedienste schäumen: Billigkonkurrenz, die kaum Deutsch spricht. "Gegen rechtswidrige Machenschaften oder Anbieter, die in Deutschland keine Sozialversicherungsabgaben zahlen, und die für 24 Stunden-Pflege werben, aber deren Mitarbeiter max. für 48 Wochenstunden arbeiten dürfen, können wir nicht konkurrieren", meint Bernd Tews, Geschäftsführer des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste.

Die Gewerkschaft Verdi schimpft gleichfalls auf McPflege: Dumpinglöhne würden gezahlt. "Außerdem machten diese Frauen Dinge, für die sie nicht qualifiziert sind: Injektionen und Verbände wechseln", argwöhnt Gabriele Gröschl-Bahr von der Verdi-Bundesverwaltung. Examinierte Pflegekräfte mit der Lizenz zum Verbandanlegen kosten allerdings auch acht Mal soviel, meint Gröschl-Bahr. Dass die Mehrheit der hauptberuflich Pflegenden diesen Tariflohn nicht bekommt, räumt sie gleichfalls ein.

Denn die Konkurrenz unter den 10.000 Pflegediensten, die bundesweit auf dem Markt sind, ist hart. Um wirtschaftlich zu sein, arbeiten die Dienste, egal ob öffentlich, privat oder gemeinnützig, alle nach dem gleichen Prinzip: die Mitarbeiter müssen möglichst viele Menschen in kurzer Zeit betreuen. Das heißt, die Pflegekräfte verbringen gerade so viele Minuten bei dem Gepflegten, wie nötig.

Aus dieser Logik haben die Angehörigen längst eigene Wege gefunden. Etwa 100.000 Bulgarinnen, Tschechinnen, Polinnen oder Ungarinnen arbeiten illegal in Deutschland. Sie reisen ein als Haushaltshilfen oder Freundinnen der Familie. Sie bleiben 3 Wochen, solange, wie sie ohne Aufenthaltsgenehmigung bleiben dürfen, und sie pflegen in dieser Zeit die Oma oder den Opa. 24 Stunden lang, für Kost, Logis und ein Taschengeld. Ohne Sozialversicherung. Ob die Frauen jemals eine Pflegefachschule nach DIN von innen gesehen haben, will gar keiner wissen. Wichtig ist, dass sie die wertvollste Ressource mitbringen, die es hierzulande gibt: Zeit. Dafür zahlt man gern die 1.500 Euro pro Monat.

McPflege legalisiert lediglich eine Praxis, die sich längst durchgesetzt hat. Die Bremer geben zwar an, nur mit Pflegediensten zusammenzuarbeiten, die examinierte Kräfte anbieten. Aber ob das so ist, kontrolliert keiner und auch über die Bezahlung vor Ort ist man in Bremen im Ungewissen. So haben die Pflegedienste und Gewerkschaften in ihrer Kritik zwar recht, aber sie haben auch keine Lösung parat.

Für den Pflegeexperten Claus Fussek ist die ganze Debatte deshalb scheinheilig: "Wenn eine 75jährige ihren 80jährigen Mann Tag und Nacht pflegt, fragt auch niemand, ob sie das schafft oder dafür qualifiziert ist." Die McPflege-Variante hält er deshalb durchaus für eine sinnvolle Ergänzung: damit bekämen überforderte Angehörige schnelle Hilfe zu bezahlbaren Preisen.

Aber der BPA startet selbst einen Versuchsballon in Hessen: "Zum Beispiel können 1-Euro-Jobber in ambulanten Pflegediensten zusätzliche Betreuungsleistungen in Haushalten mit Pflegebedürftigen übernehmen", meint Tews. Vielleicht kommt bald die 50-Cent-Pflege. Praktisch. Aber es bleibt eine sozialpolitische Bankrotterklärung für eine Gesellschaft, die nicht weiß wohin mit Opa.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • BH
    Ben H.W. Liebheit

    Die Pfründe müssen verteidigt werden. Die Wohlfahrtsverbände und privaten Pflegedienste partiziperen nämlich an den Pflegebedürftigen nicht schlecht. Sie zahlen keine Umsatzsteuer, lassen sich Büroausstattung, Autos, fast jeden Atemzug bezahlen. Manches sogar doppelt. Weder Kirche, freie Wohlfahrtsverbände noch private Heimbetreiber würden solche Einrichtungen betreiben, wenn es sich nicht lohnen würde. Seit Einführung der Pflegeversicherung 1994 sind die Pflegekosten zwischen 15 und 20 Prozent gestiegen. Die Pflegebedürftigen haben seither keinen Pfennig bzw. Cent mehr bekommen.