Alte und neue Strategien: Obama nimmt erst Anlauf
Im Eiltempo setzt der neue US-Präsident seine politische Agenda um - mit einer guten Strategie: Erst einmal merzt Obama Bushs Fehler aus und schaut dann vorwärts.
WASHINGTON taz Er kann es kaum abwarten, es auszuprobieren. John Glenn, US-Amerikaner, Obama-Wähler und Mitarbeiter einer Washingtoner Denkfabrik fliegt am Freitag nach Kairo. John reist viel in der Welt herum, aber diese Reise wird die erste Auslandstour im neuen Obama-Zeitalter sein und sie führt ihn direkt in die muslimische Welt. "Endlich, endlich nicht mehr ,Sorry' sagen müssen. Endlich nicht mehr erklären müssen, ,es ist nur Bush, so sind nicht wir Amerikaner!"
In seinem ersten Interview nach seiner Amtsübernahme hat sich US-Präsident Barack Obama an die muslimische Welt gewandt und eine "neue Partnerschaft in gegenseitigem Respekt" in Aussicht gestellt. Er sagte dem arabischsprachigen Sender al-Arabia, "dass die Amerikaner nicht Ihre Feinde sind". Das Interview wurde nach der Entsendung des Sondergesandten George Mitchell in den Nahen Osten aufgezeichnet. Mitchell wird unter anderem mit der israelischen und der palästinensischen Führung zusammentreffen.
Zum Nahostkonflikt sagte Obama, seine Regierung sei entschlossen, auf einen dauerhaften Frieden zwischen Israel, Palästinensern und anderen Anrainern hinzuarbeiten. Er zeigte sich optimistisch, dass dieses Ziel erreicht werde, aber es werde Zeit brauchen und ein neues Denken hinsichtlich der Probleme des Nahen Ostens "als ein Ganzes" erfordern. Obama bekräftigte zugleich die amerikanische Unterstützung für Israel, nannte es einen "engen Freund" der USA und erklärte, Israels Sicherheit sei von höchster Wichtigkeit. Der US-Präsident sagte auch, Gespräche mit der Führung des Irans seien wichtig. "Wenn Staaten wie der Iran willens sind, ihre Faust zu öffnen, werden sie eine ausgestreckte Hand von uns finden."
Charleynee Johnson ist noch nie verreist. Die Afroamerikanerin betreibt einen kleinen Eckladen in der Washingtoner Innenstadt. Während sie Milch und Zeitungen verkauft, läuft im Fernseher auf dem Tresen der Nachrichtensender CNN. "Es fühlt sich so gut an, er zeigt uns, was Amerika eigentlich ist", sagt sie.
Obwohl Washington gerade unter einer Schneedecke liegt, wähnt sich die Stadt im Frühling. Obgleich der Präsident sie alle bei seiner Amtseinweihungsrede nicht mit Blut-Schweiß-und-Tränen-Rhetorik erwärmte, sondern mit Verantwortung, Arbeit und Opfer, ist die Euphorie über den Anbruch einer neuen Ära unerschütterlich. Knapp 80 Prozent der US-Amerikaner sind hoffnungsvoll, die Mehrheit glaubt sogar, dass ihr neuer Präsident die Jahrhundertkrise der Wirtschaft binnen eines Jahres in den Griff bekommen wird. Dabei hat Barack Obama bislang nichts anderes getan, als die gröbsten Fehlentscheidungen der Bush-Ära zu revidieren. Er muss einiges rückgängig machen, bevor er überhaupt vorwärtsschauen kann. Seine wichtigsten Kabinettsposten haben Amtsträger eingenommen, die alles andere als frisch sind: Außenministerin Hillary Clinton, Vizepräsident Joe Biden, Verteidigungsminister Rob Gates, Wirtschaftsberater Larry Summers, sie alle gehören schon seit den Neunzigerjahren zum Washingtoner Inventar. Doch alle zusammen haben in den ersten Tagen der Regierung Obama im Stundentakt das Richtige gesagt. Sie alle marschierten zum Rhythmus eines perfekt orchestrierten 100-Stunden-Plans, der gespickt war mit symbolischer Politik - und seine Wirkung nicht verfehlte.
Gleich am ersten Tag traf sich Obama mit führenden Militärs, um den Rückzug aus dem Irak einzuleiten. Er unterzeichnete zahlreiche Erlasse, um die Werkzeuge aus Bushs Kreuzzug gegen Terrorismus, Abtreibung, Wissenschaft und Transparenz einzukassieren. In den folgenden Tagen legte er in unvermindertem Eiltempo nach und verkündete das Ende des Systems Guantánamo und der damit einhergehenden Menschrechtsverletzungen. Er erließ eine Serie neuer Ethikregeln für das Politikgeschäft in Washington. Er fror die Spitzengehälter seiner Mitarbeiter im Weißen Haus ein und schaffte es, die Sicherheitsdienste davon zu überzeugen, dass er seinen geliebten Blackberry behalten durfte. Seine, wie er sagt, Nabelschnur zur realen Welt, sein winziger, offener Kanal für Freunde, die ihm sagen wollen, dass er etwas falsch macht.
Am Montag lieferte er schließlich nach, was Umweltschützer und Klimaaktivisten mit angehaltenem Atem erwarteten: Die Berufung eines Sonderbeauftragten für die Klima- und Energiewende sowie eine erneute Absichtserklärung, dass die USA energie- und umweltpolitisch neue Wege gehen werden. Am Nachmittag folgte das erste Fernsehinterview seit seinem Amtsantritt. Es war der Sender al-Arabia, der Obamas Ankündigung für eine diplomatische Nahostinitiative in die muslimische Welt sendete. Zwölfmal benutzte er dabei das Wort "Respekt" und erzählte von seinen Verwandten, die selbst Muslime seien.
Alles Rhetorik, keine harten Fakten, miesepetern bereits die Schwarzseher und erinnern an die schwere Wirtschaftskrise. In die Offensive gehen derweil die Republikaner im Kongress. Unter ihnen formiert sich bereits erstaunlich aggressiver Widerstand. Konservative Abgeordnete hämmern schon wie wild auf der Klaviatur der Angst und prophezeien Al-Qaida-Terroristen und den Untergang des freien Unternehmertums. Ihr selbstlegitimiertes Sprachrohr, der Talkshowmoderator Rush Limbaugh feuert seitlings aus allen Rohren und wünscht Obama den kläglichen Untergang. Es gehe halt, schrieb der prominente Neokonservative William Kristol in der New York Times, um Apokalypse oder Auferstehung des Liberalismus. Habe Obama Erfolg, werde eine goldenen Ära des Liberalismus anbrechen. Verfehle er seine Ziele, habe der Konservatismus bald wieder die Oberhand.
Im Obama-Team will man das Schicksal der eigenen Weltanschauung keineswegs biblischen Kräften überlassen, sondern bastelt längst an nichts Geringerem als dem Hauptquartier der Graswurzelbewegung. "Organisieren für Amerika" heißt das gewagte Unterfangen kurz und bündig. Obamas genialer Wahlkampfleiter David Plouffe soll mit wenig Personal, aber viel Internet Millionen von Unterstützern, Aktivisten und Fans weiterhin per E-Mails bei der Stange halten. Ziel ist es, sie zu einer Unterstützermasse zu verlinken. Sie sollen Obama künftig per Klick helfen, die gewaltigen Reformvorhaben durch den Kongress zu drücken. Es solle, so das Obama-Team, so viel Druck von unten erzeugt werden, dass kein Republikaner es sich mehr erlauben kann, kurzsichtige Klientelinteressen zu bedienen.
Dieses Experiment könnte die Vereinigten Staaten in eine neue Ära der Demokratie katapultieren. Aber noch ringt der Präsident mit alten Bekannten: zwei Kriegen, einer Wirtschaftskrise und einem riesigen Berg Schulden.
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