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Als die „Maij-Maij“ nach Bibwe kamen

In Ostzaire fliehen Hunderttausende vor dem Krieg zwischen ruandischen Hutu und zairischen Milizen  ■ Aus Goma Jörg Schulze

Claude Kamanutsi spricht ruhig und mit teilnahmsloser Stimmme. Der Überfall auf sein Dorf Bibwe, wo er als Grundschullehrer gearbeitet hatte, geschah am 23. Januar um 3 Uhr morgens. „Mehr als 200 Kämpfer der Bahunde umstellten unser Dorf“, berichtet der 25jährige Hutu. „Den Zug der Angreifer führten singende und tanzende Frauen mit entblößten Brüsten an. Ihnen folgten die Kämpfer, meist fünfzehn- bis zwanzigjährige Männer, nur mit einer Lendenschnur bekleidet.“ Sie hätten alle, derer sie habhaft wurden, „abgeschlachtet, egal ob Männer, Frauen oder Kinder“.

Kamanutsi konnte fliehen und ist mit 20 anderen in Goma bei einem Onkel in einer Baracke im Garten untergekommen. Aber nicht nur Hutu werden zur Zeit im Osten Zaires Opfer archaischer Grausamkeiten. Ruandischstämmige Hutu und zairische Bahunde überfallen gegenseitig ihre Dörfer. Inzwischen mußten über 150.000 Menschen fliehen.

Der Konflikt brach vordergründig durch den Mord an einem Bahunde im September 1995 auf. Er geht jedoch schon auf die Kolonialzeit zuürck. In den 40er und 50er Jahren siedelten die belgischen Kolonialbehörden aus dem dichtbesiedelten Ruanda mehr als 150.000 Ruander – Hutu und Tutsi – in den dünnbesiedelten Osten Zaires um. Die Bevölkerung in der Region Masisi bestand danach zu 75 Prozent aus Ruandern. 1981 erkannte Zaires Regierung den Nachkommen der ruandischen Siedler, zum Großteil in Zaire geboren, die zairische Staatsbürgerschaft ab. Schon im März 1993 starben Tausende bei bewaffneten Auseinandersetzungen. Seither hat die Ankunft von über einer Million ruandischer Hutu-Flüchtlinge im Sommer 1994 den Konflikt weiter verschärft.

Die zairische Armee hat sich dabei nicht mit Ruhm bekleckert. Flüchtlinge jeder Konfliktpartei berichten, daß die Armee jeweils gegen ihre Seite gekämpft habe. Für Pfarrer Faustin Kambale von der Pfarrei Lushébéré ist das ganz einfach: „Die Soldaten kämpfen für jeden, der sie versorgt.“ Denn selber haben sie nichts, wie der Pfarrer erfahren mußte: „Wir hatten zu unserem Schutz ein Dutzend Soldaten in der Pfarrei. Wir haben sie mit Nahrungsmitteln versorgt und sie in unseren Häusern wohnen lassen. Immer wenn sie fahren mußten, haben sie den Lkw der Pfarrei benutzt.“ Die Soldaten tun sich schwer gegen die Bahunde-Kämpfer, denn die haben angeblich Docteurs, die sie mit Zauberwasser gegen Gewehrkugeln immun machen. Die Kämpfer werden deshalb „Maij-Maij“ (Suaheli für Wasser) genannt. Als die Maij-Maij im Dezember 1995 die Stadt Masisi angriffen, flohen die Soldaten, so daß sich die Angreifer ihrer Waffen bemächtigten.

„Schau her, ich habe drei Magazine auf die Bahunde abgefeuert“, erzählte ein kopfschüttelnder Soldat damals Pfarrer Kambale, „und den Kämpfern ist nichts passiert. Sie müssen einfach Zauberkräfte haben.“ Am Tag darauf verlegten sich die frustrierten Regierungssoldaten dann auf das, was sie am besten können: Sie plünderten und brandschatzten die Häuser der Bahunde in Masisi – rund 90 Prozent der Bewohner der Stadt sind Bahunde. Bei der Rückkehr nach Goma hatte die ruhmreiche Armee dazu mehrere hundert Kühe an ihrer Seite, gestohlen von den Großfarmen um Masisi.

So sind inzwischen auch Bahunde zu Flüchtlingen geworden. In Sake, der ersten Ortschaft hinter der Straßensperre vor Masisi, leben Bahunde in einem Lager inmitten idyllischer grüner Hügel. Medizinische Hilfe kriegen sie keine, und Wasserversorgung ist nicht vorhanden, was mit Beginn der Trockenzeit im Juni zu einem Problem werden könnte. Die fliehenden Bahunde sind weitaus schlechter gestellt als die ruandischen Hutu. Da sie innerhalb ihres Landes bleiben, haben sie keinen Flüchtlingsstatus und können nicht vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR versorgt werden. „Die ganze Situation überfordert uns völlig“, erklärt Edeltraud Gaul von der Diözese in Goma, „wir haben keine Quartiere, an Nahrungsmitteln nur das Allernotwendigste, und die medizinische Versorgung ist katastrophal.“

Einen Kilometer entfernt haben sich einige hundert Tutsi notdürftig unter Zeltplanen auf einer Wiese niedergelassen. Tutsi aus Ruanda waren nach der Machtübernahme der Hutu 1959 hierher geflohen. Die meisten kehrten nach dem Sieg der Tutsi-Guerilla RPF in Ruanda 1994 zurück. Nun sitzen die letzten auf ihren Bündeln und warten auf die Busse einer Hilfsorganisation, die sie an die ruandische Grenze bringen sollen, rund 25 Kilometer entfernt.

In Zaire sei einfach kein Platz mehr für sie, berichten sie resigniert. Zaires Regierung hilft nach: Anfang April kam die Präsidialgarde nach Masisi – offiziell, um die Kriegsparteien zu entwaffnen, doch in Realität begann sie, die verbliebenen Tutsi zu vertreiben. Der ruandische Staatsrundfunk sprach von „Menschenjagd“ und forderte Zaire sarkastisch auf, „keine Anstrengung zu unterlassen, um seine eigenen Landsleute zu schützen“.

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