: Als Opfergruppe nicht existent
■ Das Stigma der „Rosa Winkel“ wirkte bis in die Adenauerzeit / Schwule NS-Opfer wie Heinz Dörmer warten immer noch auf Entschädigung
Heinz Dörmer konnte nur für kurze Zeit aufatmen. Am 24. Juli 1940 wurde er aus dem Lager Aschendorfer Moor entlassen, wo ihn die Nationalsozialisten wegen homosexueller Kontakte jahrelang eingesperrt hatten. Doch er war kaum nach Berlin zurückgekehrt, da standen seine Peiniger schon wieder vor der Tür. Bereits im September wurde er erneut verhaftet – und ins Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt.
Dörmers Martyrium dauerte bis zum Kriegsende, doch die Bundesrepublik bemühte sich kein bißchen um Wiedergutmachung. Ganz im Gegenteil: Als schwuler Mann saß er auch nach 1945 noch mehrfach im Gefängnis. Und weil die Bundesrepublik die Homosexuellen bis heute nicht als Opfergruppe des Faschismus anerkannte, erhielt er niemals eine Entschädigung für die erlittenen Qualen.
In Sachsenhausen, wo die Homosexuellen einer systematischen Sonderbehandlung unterlagen, wurde Dörmer in die Strafkompanie eingewiesen, die nur die wenigsten überlebten. Kameraden mußten ihm den „Rosa Winkel“ annähen, und bald lernte er das bestialische Lagerleben kennen. Er mußte die ersten Nächte auf dem nackten Fußboden verbringen, weil nicht genügend Betten vorhanden waren. „Schläge und Schreie“, erinnert sich Dörmer, „haben wir die ganze Nacht gehört.“ Und keiner wußte, „ob er den nächsten Tag übersteht“.
Als nach wenigen Wochen in Sachsenhausen Dörmers Abtransport in das Konzentrationslager Neuengamme bevorstand, bekam er zu spüren, wie die Nazis homosexuelle Männer klassifizierten. Als „Raben“ seien die männlicher wirkenden Schwulen eingestuft worden, die anderen galten als „Tunten“.
„Da hab' ich schnell gemerkt, daß es besser war, Rabe zu sagen“, erinnert sich Dörmer. So sei er schließlich nach Neuengamme gekommen, doch „die Tunten haben wir nie wieder gesehen“. In dem norddeutschen Lager blieb er bis zur Befreiung 1945.
Doch mit dem Ende des Faschismus war für Dörmer die Verfolgung nicht zu Ende. Denn die Bundesrepublik übernahm 1945 den von den Nationalsozialisten verschärften Paragraphen 175, der homosexuelle Kontakte unter Männern generell unter Strafe stellte. Mehrfach wurde Dörmer verurteilt, zuletzt kam er 1960 für vier Jahre ins Gefängnis.
Die anhaltende Strafverfolgung war es denn auch, die ihn zögern ließ, von den Behörden eine Entschädigung für das erlittene Nazi- Unrecht einzufordern. Ohnehin hatte Dörmer als einer von rund 15.000 schwulen KZ-Insassen in Sachen Wiedergutmachung schlechte Karten. Denn obwohl Hitler mit Hilfe der „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“ systematisch die Ausmerzung der Schwulen betrieb, wurden diese anders als Juden oder politisch Verfolgte bis heute nicht als Opfergruppe anerkannt.
Sie hatten allenfalls Anspruch auf eine geringe Entschädigung im Rahmen des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes (AKG). Doch nach Einschätzung von Schwulenverbänden wagten im restriktiven Klima der Adenauerzeit nur eine Handvoll homosexueller Männer den Gang zu den Behörden. Das Gedenken zum 50. Jahrestag des Kriegsendes, so der Bundesverband Homosexualität (BVH), solle deshalb genutzt werden, um endlich das für die offiziell anerkannten NS-Opfergruppen eingerichtete Bundesentschädigungsgesetz (BEG) auch für Schwule und Lesben zu öffnen.
Doch weil sich der Bundestag trotz eines Vorstoßes von Bündnis 90/Die Grünen bislang nicht zu einer Anerkennung der Homosexuellen als NS-Opfergruppe durchringen konnte, ist mehr als fraglich, ob der heute 83jährige Dörmer je in den Genuß einer Entschädigung kommen wird. Denn eine Wiedergutmachung nach dem AKG blieb ihm verwehrt, weil er sich erst in den 80er Jahren zu den Behörden wagte. Doch da war es zu spät: „Sie haben“, so ein lapidares Schreiben der Berliner Finanzdirektion von 1982, „die Ausschlußfristen für Anträge nach dem AKG versäumt.“ Jürgen Petzold
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