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Alma mater auf Nulldiät

Deutschlands größte Universitätsstadt baut ab: Studieren kostet Geld, Studiengänge werden gestrichen und viele Studienplätze abgeschafft  ■ Aus Berlin Christian Füller

„Schlachtet das Sparschwein!“ Peter Radunski (CDU), Berlins neuer Senator für Wissenschaft und Kultur, muß sich Unflätiges von den paar Studenten anhören, die sich trotz Semesterferien in der Stadt aufhalten. Denn der Politprofi beginnt seine Amtszeit mit einem beispiellosen Kahlschlag: Eine halbe Milliarde Mark wird Radunski aus dem vier Milliarden Mark umfassenden Etat der Universitäten herausstreichen. Zu diesem Zweck sollen ganze Studiengänge aufgelöst und Studiengebühren eingeführt werden. Der Sparhaushalt wird morgen vom Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen.

Während sich die Bundes-SPD noch gegen die Einführung von Studiengebühren an den deutschen Universitäten ausspricht, langt Berlins Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) bereits hin: Mit 100 Mark pro Semester sind die Studis ab Sommer dabei. Offiziell werden die 100 Mark als „Einschreibegebühren“ verbucht, sie sind aber nichts anderes als der Einstieg ins bezahlte Studium. Hinter vorgehaltener Hand läßt der Wissenschaftsneuling Radunski, der die Gebühren schrittweise anheben darf, daran keinen Zweifel.

Auch die Kürzungen an den Universitäten haben es in sich. Die Studienplatzzahl soll von 115.000 auf 85.000 gesenkt werden. 196 Millionen Mark muß Radunski noch im Jahr 1996 aus den Uni- Etats herausschneiden, um seinen Teil zur Deckung der Berliner Haushaltslücke von fünf Milliarden Mark zu erbringen. Dies können die Unis nur erwirtschaften, indem sie nahezu jede freiwerdende Stelle streichen. Vor allem Qualifikationsstellen für junge Graduierte sind davon betroffen, die alle drei bis fünf Jahre freiwerden. „Das ruiniert den Gesamtbetrieb“, sagt Karl Schwarz von der Planungsabteilung der TU kopfschüttelnd, weil es einem Einstellungsstopp für junge Menschen gleichkomme. Radunskis Beamte haben zudem das Skalpell gezielt bei den studentischen TutorInnen angesetzt. Die wurden im Berliner Universitäts-„Streik“ 1988/89 in größerem Umfang von den StudentInnen erkämpft und waren der Wissenschaftsverwaltung schon lange ein Dorn im Auge.

Selbst die traditionsreiche Humboldt-Universität (HU) muß bluten. Die scheidende HU-Präsidentin Marlis Dürkop rechnete vor, daß die geplanten Kürzungen bis zum Ende der Legislaturperiode ihre Institution ein Drittel des Personals und ein Viertel der Etatmittel kosten werden. „Sie sparen uns kaputt!“ giftete der Sprecher aller Berliner Universitäten, FU-Präsident Johann Gerlach, die Abgeordneten an, als sie den Nachtragshaushalt berieten.

Bei diesen Kürzungen soll es allerdings nicht bleiben. Um die Unis auch künftig zur Ader lassen zu können, hat Berlin ein Haushaltsstrukturgesetz beschlossen. Darin gibt sich der Stadtstaat eine Abwicklungsermächtigung – und wendet sie auch gleich an: Diverse Studiengänge werden schlicht aufgehoben. An der Freien Universität schließt Berlin das Numerus- clausus-Fach Zahnmedizin. An der TU wird die Anglistik und die Romanistik dichtgemacht, den Lehramtsstudiengängen droht das gleiche Schicksal. Die Humboldt- Universität sollte eine komplette Fakultät beenden.

Der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät gelang es nur dank wütender Proteste der Landwirte aus Brandenburg, von der Abwicklungsschippe zu springen. Die Bauern aus der Mark hatten damit gedroht, die Grüne Woche zu boykottieren und gegen die bevorstehene Länderfusion zu stimmen. Das wirkte – vorerst. Sollte sich das Nachbarland jedoch nicht finanziell an der Bauernfakultät beteiligen, dürfte auch dieses Kapitel Berliner Universitätsgeschichte geschlossen werden.

Die Universitäten stehen dem Treiben der Politik hilflos gegenüber. Die Studenten sind Jobben, auf Skiurlaub oder verzweifelt. Manche Professoren wollen nur noch die eigene Haut retten. In einem offenen Brief beklatschten über 100 Hochschullehrer der TU den Plan, die Lehramtsstudiengänge abzuwickeln. Die Nacht- und-Nebel-Entscheidung des Senats adelten die Naturwissenschaftler und Ingenieure zu einem „wohlüberlegten Konzept“. Die Lehrämter, darunter Germanistik und Anglistik, sollten schnell geschlossen werden.

Die professorale Ermunterung zum Schlachten hat selbst unter Konservativen Widerspruch hervorgerufen. Ohne Sinn und Verstand würden die Anglistik und Germanistik dem Müllwagen übergeben, konterte der Historiker Werner Dahlheim. Er zieh seine Kollegen des „unwürdigen Kotaus vor der Übermacht überforderter Politiker“ und warnte, das geisteswissenschaftliche Experiment an der TU aufzugeben.

Die Universität an der Straße des 17. Juni verdient diesen Namen, weil ihr zur Wiedergründung 1946 Geisteswissenschaften beigegeben worden waren. Damit wollte man mit der nationalsozialisitschen Tradition der ehemals rein naturwissenschaftlichen „Technischen Hochschule Charlottenburg“ brechen. Diese Intention wird nun teilweise rückgängig gemacht. Da half auch der Brief von Dahlheim nichts.

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