Alltag in Tokio: "Einkaufen lenkt mich ab"
Stromausfälle, Hamsterkäufe und die Ungewissheit, was in Fukushima passiert - aber die Menschen bleiben gelassen. Ein Deutscher aus dem Großraum Tokio berichtet.
Ich mache mir Sorgen, bin übermüdet und mein Magen reagiert nervös. Abgesehen davon geht es mir gut. Gestern war ich lange wach, habe Nachrichten gesehen und gelesen, Facebook und Twitter gecheckt und viel mit Freunden und der Familie in Deutschland gesprochen, um sie zu beruhigen.
Heute haben wir bis ein Uhr geschlafen und dann gemütlich gefrühstückt. Meine Frau Mai muss nicht zur Arbeit. Sie hatte schon vor Beginn der Katastrophe ein paar Tage Urlaub genommen und ist deshalb hier bei mir. Sollten die Züge fahren und es keine Stromausfälle mehr geben, wird sie in ein paar Tagen wieder ganz normal zur Arbeit gehen. So machen das die meisten Leute. Nach Süden geflohen sind die wenigsten. Natürlich habe ich schon darüber nachgedacht, nach Hause zu fliegen. Aber meine Frau sorgt sich um ihre Familie und ihre Stelle. Also bleiben wir hier.
Nach dem Frühstück war ich kurz draußen, um etwas für das Mittagessen einzukaufen. Einige Supermärkte sind geschlossen, in anderen sind die Regale ziemlich leer. Besonders Wasser, Brot, Reis, Instantnudeln, Batterien und Kerzen sind fast überall ausverkauft. Daran kann man erkennen, dass die Menschen Angst haben, auch wenn sie es nicht zeigen. Am Nachmittag will ich es nochmal versuchen, auch wenn ich vielleicht gar nichts bekomme. Aber einzukaufen lenkt mich ab.
(29) aus Wolfen in Sachsen-Anhalt studiert Japanologie und Kommunikationswissenschaft in Berlin. Seit März 2010 lebt er mit seiner Frau Mai (29) in Tokorozawa in der Präfektur Saitama nahe Tokio. Aufgezeichnet hat seine Worte Marlene Halser.
Dazu kommen die Stromausfälle. Als ich gestern einkaufen wollte, haben mich die Verkäuferinnen nicht in den Laden gelassen, weil die Kassen nicht mehr funktionierten. In einem 24-Stunden-Shop hatte ich Glück und habe noch ein paar Flaschen Soda-Wasser bekommen. Das bleibt oft übrig, weil viele Japaner kein Wasser mit Kohlensäure mögen.
Mit haltbaren Lebensmitteln sind wir ganz gut versorgt. Auch Vitamin- und Mineraliendrinks habe ich vor ein paar Tagen gekauft. Wenn wir sparsam sind, kommen wir damit für zwei Wochen aus. Gerade backen wir Brot mit einer Instantbackmischung, die mir meine Mutter aus Deutschland geschickt hatte.
Innerlich bin ich ein wenig in Panik. Man weiß ja nicht so genau, was im Norden passiert. In den Nachrichten heißt es, dass in unserer Gegend keine Gefahr besteht. Wir sind rund 200 Kilometer von Fukushima entfernt. Die Menschen fürchten sich eher vor weiteren Nachbeben, die die Stärke fünf oder mehr erreichen. Kleinere Nachbeben gibt es die ganze Zeit. Allerdings kann es auch sein, dass ich mir das Beben langsam schon einbilde.
Heute Morgen, als wir schliefen, gab es das letzte Beben der Stärke drei. Da bin ich aufgesprungen, und habe nachgesehen, ob das Gas abgestellt ist. Eine Tasche mit den nötigsten Dingen haben wir neben der Eingangstür stehen, damit wir im Notfall sofort in die nahegelegene Grundschule flüchten können. Die ist stabiler gebaut, als unser Haus.
Mai ist gelassener als ich. Sie sagt, es nütze nichts, in Panik zu geraten. Sie ist mit Erdbeben aufgewachsen. Hier werden die Kinder schon im Kindergarten auf Erdbeben vorbereitet. Drei Mal im Jahr gibt es Erbebenübungen. Dann stoppen die Lehrer die Zeit, wie lange die Kinder brauchen, um sich geordnet aufzustellen und ruhig das Klassenzimmer zu verlassen. Mai sagt, sogar die Sitzkissen in der Schule seien zusammengefaltete Rettungskapuzen, die man sich im Notfall auf den Kopf setzen könne.
Meine Frau sagt auch, Ruhe zu bewahren, gehöre zur japanischen Mentalität. Hier ist es üblich, sich darum zu bemühen, dass alle gut miteinander auskommen.
Von den Medien fühle ich mich relativ gut informiert, doch zur Ergänzung hole ich mir Informationen aus dem Internet. Es wird ständig darüber berichtet, wie die Rettungsaktionen verlaufen und wie sich die Menschen nahe der Evakuierungszone um das Atomkraftwerk verhalten sollen, um sich zu schützen. Ich glaube aber auch, dass ein paar Informationen zurückgehalten werden, um die Menschen nicht zu beunruhigen. Die Nachrichten und Meldungen aus Deutschland und den anderen Teilen der Welt erscheinen mir im Gegensatz dazu ein wenig übertrieben.
Auf den Titelseiten der japanischen Zeitungen wird in erster Linie von Rettungsaktionen aus den Tsunami-Gebieten berichtet. Gestern wurde zum Beispiel eine alte Frau nach drei Tagen geborgen. Auch über die Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage Japans wird spekuliert. Im Norden, in der Gegend um Fukoshima, wird viel Reis angebaut. Wenn dort alles verseucht ist, dann könnten die Grundnahrungsmittel knapp werden.
Die Notwendigkeit von Atomenergie stellen die meisten Japaner nicht in Frage. Meine Frau sagt, sie mache sich mehr Sorgen, dass Japan ohne Strom dastehen könnte.
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