Alltag in Gaza: „Wir warteten und warteten“
Layla empfängt ihre aus Gaza geflohene Schwester und deren Baby in Kairo – überglücklich und gleichzeitig schockiert angesichts ihres Zustands.
L ayla (Name auf ihren Wunsch geändert) ist in Gaza geboren und aufgewachsen. Seit 15 Jahren lebt sie in Kairo.
Von Ägypten aus wollte ich im Dezember eine Crowdfunding-Kampagne starten, um meinen Vater und meine Schwester mit ihrem Baby aus Gaza herauszuholen. Aber mit meinem ägyptischen Konto funktioniert das nicht, also haben wir das Geld über Spenden von Freund*innen und Verwandten auf der ganzen Welt zusammengesammelt. Die erstaunliche Nachricht ist: Wir haben zumindest meine Schwester und ihr Baby herausbekommen.
Eine Bekannte aus Frankreich kam und brachte mir das Geld in bar, ich traf sie am Flughafen in Kairo, nahm die Tasche von ihr und bereitete dann alle Dokumente meiner Schwester und ihrer kleinen Tochter vor. Der Geldbetrag reichte nur für die beiden. Ich ging zu der Firma, die die Zahlungen entgegen nahm, um die Namen auf der Liste zu registrieren, damit die beiden über die Grenze nach Rafah gelassen werden. Das war am 29. Februar. Sie sagten, es würde höchstens zwei Wochen dauern, bis sie an der Reihe wären, aber wir warteten und warteten.
Wir wollten niemandem etwas davon erzählen, weil wir nicht sicher waren, dass es wirklich passieren würde und meine Schwester es schaffen würde, mit ihrem Baby heil dieser Hölle zu entkommen. Nach einem Monat und vier Tagen geduldigen und hoffnungsvollen Wartens tauchte ihr Name endlich auf der Liste auf und sie schaffte es, mit ihrem Baby sicher und wohlbehalten die Grenzen zu überqueren. Sie waren super erschöpft, gestresst, verwirrt, traurig – aber auch sicher und erleichtert.
Sie war so dünn
Jetzt sind sie bei mir in der Wohnung. Sie sind nur mit einem Rucksack aus Gaza rausgekommen, sogar ohne Reisepass. Aber wir haben es geschafft, aus Ramallah im Westjordanland einen neuen Pass für meine Schwester und das Baby zu besorgen und ihn zu mir nach Kairo schicken zu lassen. Jetzt gehen wir zur Botschaft und zur Visumsstelle, um den Einreisestempel in den neuen Pass zu übertragen.
Ich war überglücklich und so gerührt, als ich sie sah, meine Schwester, die ich 12 Jahre lang nicht gesehen hatte. Sie ging ja noch zur Schule, als ich sie das letzte Mal mit meinem Sohn besuchte – und der war da erst zwei Jahre alt. Ich war auch schockiert, weil sie super dünn war. Sie stillt immer noch – und hat nun sechs Monate lang gehungert.
Unser Ringen geht weiter: Unser Vater ist ja immer noch in Gaza.
Protokoll: Judith Poppe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht