Alltäglicher Terror in Afghanistan: Reporter mit Kalaschnikow
Menschenrechtsverletzungen durch Regierung und Warlords prägen den Alltag von Journalisten in Nordafghanistan. Die Bundeswehr fühlt sich nicht zuständig.
KABUL taz Sher Muhammed Jahesh, 25 Jahre alt, sieht nicht aus wie ein Schlägertyp. Zum eleganten Hemd trägt er eine goldene Uhr und spitze Schuhe im 60er-Jahre-Stil, wie sie unter jungen Afghanen derzeit Mode sind. Dennoch geht er nie ohne Kalaschnikow aus dem Haus. Der Redakteur des Radiosenders Arzod in der nordafghanischen Stadt Pul-e-Khumri hat allen Grund, um seine Sicherheit zu fürchten. In den vergangenen Jahren wurde er bereits einmal entführt und mehrfach mit dem Tode bedroht. "Seit zwei Jahren habe ich massive Probleme", sagt er.
Beim ersten Mal zwangen ihn Mitarbeiter der Stadtverwaltung nach einer kritischen Sendung mit vorgehaltener Waffe in ein Auto. "Zum Glück hatten wir einen Unfall an einer belebten Kreuzung, so dass ich weglief, ohne dass sie auf mich schießen konnten." Beim zweiten Mal wurde er nach einem kritischen Bericht vom Gouverneur vorgeladen und vom Polizeichef mit dem Tod bedroht. Seinen Job beim staatlichen Fernsehsender Balkh TV war er danach los. Als er bald darauf für einen Privatsender über die kriminellen Machenschaften einer lokalen Firma berichtete, erhielt er erneut Morddrohungen. Das ungarische geführte Wiederaufbauteam in Pul-e-Khumri ignorierte seine Bitte um Hilfe.
"Ich mache mir inzwischen bei jedem Beitrag, den ich veröffentliche, Sorgen, dass etwas passiert", sagt Jahesh. Wie dem Radioreporter geht es vielen Vertretern der Zivilgesellschaft in Nordafghanistan. Sie werden schikaniert, bedroht und im schlimmsten Fall ermordet. Während das Ausland wie gebannt auf den Krieg im Süden des Landes starrt, schaffen die regierenden Kräfte und die Taliban im Norden eine Atmosphäre, die in vielem der in Kandahar vor drei Jahren gleicht - bevor die Situation dort aus dem Ruder lief.
"Für Journalisten hat sich die Lage im Norden eindeutig verschlechtert", sagt Nader Nadery, Sprecher der Menschenrechtskommission in Kabul. "Der Druck kommt meist von offizieller Seite. Oft mögen Gouverneure Journalisten nicht, weil sie verhindern wollen, dass ihre illegalen Aktivitäten aufgedeckt werden." Prominentestes Beispiel ist der Student Pervez Kambash, der derzeit in Kabul in Haft sitzt. Ein Gericht in Masar-e-Scharif verurteilte ihn zum Tode, weil er angeblich einen Artikel aus dem Internet heruntergeladen hat, der die Rolle der Frau im Islam kritisch diskutiert.
"Ich weiß, welcher Warlord hinter der Anklage steckt, aber es ist zu gefährlich, es zu sagen", sagt sein Bruder Yakub Ibrahimi. Ibrahimi ist ebenfalls Journalist und arbeitet für das britische "Institute for War and Peace Reporting" (IWPR). Er ist überzeugt, dass sein Bruder nur deshalb ins Fadenkreuz der islamistisch geprägten Justiz geriet, weil er selbst öfters kritisch über die Machenschaften der lokalen Regierung berichtet hat - aber man sich an ihn wegen seiner Kontakte ins Ausland nicht herantraut.
"Die Politik der Religion geht immer von korrupten Führern aus, die von ihrem illegal erworbenem Reichtum ablenken und sich als echte Muslime zeigen wollen", sagt Nader Nadery. "Der Fall Kambash ist ein klares Beispiel dafür."
Besonders in Masar-e-Scharif, dem Hauptquartier der für den Norden Afghanistans verantwortlichen deutschen Isaf-Truppen, häufen sich die Klagen. "Alles, was die Interessen der Regierung gefährdet, führt zu Drohungen gegen Journalisten", sagt Farid Ahmad Hakimi, Schriftsteller und Chefredakteur der Zeitung Aatash in Masar. Meist kommen sie von der Partei des regierenden Gouverneurs Mohammed Atta, Jamiat Islami, oder der Organisation des die Nachbarprovinz Schibergan beherrschenden Abdul Rashid Dostum, "Jombesh".
Dabei geht es selten um politische Differenzen. "In den letzten Jahren wurden in Masar 162 Häuser illegal vom der Regierung besetzt, aber niemand traut sich, darüber zu berichten. Gouverneur Atta hat eine Pressekonferenz abgebrochen, als ich ihn fragte, ob es stimmt, dass 20 Prozent von jedem öffentlichen Auftrag in seine Tasche fließen", sagt Hakimi. Journalisten sind meist die ersten Opfer. Tatsächlich aber ist jeder bedroht, der gegen die Macht der Warlords aufbegehrt. Der Arzt Dr. Nasruddin Hamdard wurde vor sieben Monaten erschossen, weil ihm das Land in einem Stadtteil gehörte, das Atta haben wollte, berichtet Hakimi. "Atta hat danach gesagt: Ich weiß, wer Hamdard ermordet hat. Sie haben eine Atmosphäre der Angst geschaffen, in der sich niemand trauen soll, gewisse Grenzen zu überschreiten."
Von der Bundeswehr, die in Masar mit rund 1.800 Soldaten vertreten ist und unter deren Führung die lokalen Wiederaufbauteams (PRTs) operieren, fühlen sich die Menschen allein gelassen. "Wir wissen nicht, ob die Deutschen uns helfen können, wir haben keine Information darüber, ob sie sich mit so etwas beschäftigen. Bevor wir in das Isaf-Lager vorgelassen werden, müssen wir ja mindestens einen Aids-, einen Tuberkulose- und einen Grippetest machen", sagt sarkastisch Soroush Kazemi, Koordinator des Civil Society and Human Rights Networks, eines Zusammenschlusses von 25 Nichtregierungsorganisationen. Auch Pervez Kambash hat nach Angaben seines Bruders bevor er verhaftet wurde mehrfach beim schwedischen PRT in Masar und beim lokalen Büro der Vereinten Nationen (Unama) vergeblich um Hilfe gebeten. "Die internationalen Truppen unterstützen eine Regierung, die aus Kriminellen besteht. Warum sollten sie gleichzeitig uns unterstützen?", fragt Babak Qayoum, Chefredakteur der Zeitung Jehan-e.now (Neue Welt) in Masar, für die Kambash geschrieben hat. "Die Isaf schützt die größten Verletzter der Menschenrechte, aber Leute, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren, werden allein gelassen."
Auf das Thema angesprochen, reagiert der Sprecher des deutschen Isaf-Kontingents, Fregattenkapitän Alexander von Heimann, abwehrend: "Menschenrechte sind nicht unser Mandat." Das sieht die Presseabteilung der Bundeswehr offenbar anders. Auf der Website der Truppe heißt es: "(Die Isaf) soll im Auftrag der Vereinten Nationen die afghanische Regierung bei der Wahrung der Menschenrechte sowie bei der Herstellung und Wahrung der inneren Sicherheit unterstützen."
Die stattdessen praktizierte Politik der Nichteinmischung hat die anfängliche Begeisterung für die Deutschen in Nordafghanistan abgekühlt. Sie hat auch ein Machtvakuum geschaffen, in dem die Taliban ungestört agieren können. Vor allem in der Region um Kundus, wo die Deutschen selbst ein 400 Personen starkes Wiederaufbauteam unterhalten, machen die radikal-islamischen Milizen seit einem Jahr eine Politik, die fatal an die Anfänge des Aufstandes im Süden des Landes erinnert.
"Die Taliban haben in drei Distrikten eine ähnliche Strategie wie im Süden: Sie töten Lehrer, Ärzte, Aktivisten aus der Zivilgesellschaft", sagt Yama Sherzai, Reporter der Deutschen Welle in Kundus. Vor zwei Wochen erhielt er aus dem Distrikt Dasht-e-Atschi einen Anruf. Ein Mann klagte: "An meiner Tür hängt ein Schild, auf dem steht: Wenn deine Tochter morgen noch zur Schule geht, wird sie getötet." Allein im Juni habe es in der Region drei Morde gegeben: In Dascht-e-Atschi wurde ein Mann auf dem Weg nach Hause erschossen; ihm wurde vorgeworfen, er sei gegen die Taliban. Am Rande von Kundus wurde ein Lehrer ermordet, und in Char Dara wurde ein Reisbauer auf seinem Feld hingerichtet. Er soll für die Ausländer spioniert haben. "Sobald man aus Kundus rauskommt, gibt es keine Sicherheit mehr", sagt Sherzai.
"Die Taliban expandieren um Kundus, nicht unbedingt in der Zahl, aber psychologisch", bestätigt auch Nader Nadery von der Menschenrechtskommission. "Vor zwei Jahren haben wir noch viel aus den Provinzen außerhalb von Kundus berichtet", sagt Nadia Chodaiyar, Gründerin des Frauenradios Zohra in Kundus. "Aber vor allem in den Distrikten Char Dara, Emam Saheb und Dascht-e-Atschi ist das jetzt zu gefährlich." Der Sender hat inzwischen Männer eingestellt, um von dort Beiträge zu bekommen. "Ich habe Drohungen erhalten: Hör auf oder wir hängen dich auf! Irgendwann hat mein Mann im Garten zwei Leute beobachtet, die unser Haus ausspähten. Danach sind wir umgezogen."
Drei Morde an afghanischen Journalistinnen allein im vergangenen Jahr haben selbst mutige Frauen eingeschüchtert. "Als Zakia Zaki in Parwan ermordet wurde, bin ich aus Angst drei Monate nichts ins Büro gegangen", gesteht Nadia Chodaiyar. Erst ihre Kollegen hätten sie dazu überredet, weiterzumachen. "Beim Schutz von Frauen oder Journalisten könnten die ausländischen Truppen eine größere Rolle spielen", kritisiert deshalb Nader Nadery. Er selbst wurde im letzten Jahr von der Nato geschützt, als er bedroht wurde. "Jeder sollte in einem solchen Fall eine zuverlässige Anlaufadresse haben", so Nadery. In der südlichen Provinz Uruzgan etwa hätten die holländischen Truppen einer Frau geholfen, die die Taliban dazu zwingen wollten, einen ihrer Söhne als Selbstmordattentäter zur Verfügung zu stellen.
Dabei geht es nicht nur um das Leben der Betroffenen, sondern um die Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft und damit um Sieg oder Niederlage am Hindukusch.
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