: Alltäglich
■ Betr.: "Die 'Marxistische Gruppe' ist tot", taz vom 22.5.91
betr.: „Die ,Marxistische Gruppe‘ ist tot“, taz vom 22.5.91
„Der Grund für das Ende der MG ist vergleichsweise profan“, schreibt die taz. Profan heißt laut Duden: „alltäglich“. Und was ist in der BRD im Jahre 1991 alltäglich?
In der Abteilung Staatssicherheit und politisches Klima eben dieses: eine „kämpferische Auseinandersetzung mit dem Sozialismus“ (CSU- Streibl) steht an, und darunter verstehen kämpferische Demokratien folgendes: die einen stellen die Forderung nach einem Verbotsantrag gegen die PDS und die anderen weisen diese Forderung zurück mit dem „Argument“, so schnell lasse man sich den Stasi-Verdacht nicht nehmen, wo der doch seine schlagende Wirkung als Rundum-Totschläger so schön entfaltet. Und darunter verstehen kämpferische Demokraten die Kriminalisierung der Auffassungen der Marxistischen Gruppe (MG) (so geschehen in einer Broschüre des Schäuble-Ministeriums zum „kommunistischen Geheimbund MG“), um die Verfolgung einer abweichenden Meinung in allen möglichen Berufen zum Hebel von deren Ausschaltung zu machen.
Datenschutz hin, andere Persönlichkeitsrechte her, die „kämpferische Auseinandersetzung“ schafft sich schon ihre Instrumente in Verfassungsschutz- und Polizeiaufgabengesetzen. Dann geben, wie im vorliegenden Fall der MG, Verfassungsschützer persönliche Daten auch an andere als an öffentliche Stellen weiter und machen Druck, damit die Säuberung im Betrieb auch stattfindet.
Alltäglich? Mittlerweile schon. Dazu kann man sich auf zweierlei Art und Weise stellen. Man kann das als Auskunft über Demokratie und Rechtsstaat nehmen und damit als Kritik an solchen Verhältnissen. Man kann das aber auch — und dazu ist der taz-Artikel entschlossen — als pure Selbstverständlichkeit in diesem unserem Lande auffassen. Dann, aber auch nur dann, lassen sich die entsprechenden Angriffe als Übertreibungen derer, die sie treffen, einordnen. Und dann läßt sich die Kritik daran hämisch als „alte Manier“ abhaken.
Die neue Manier, im Zeitalter des offiziellen Schlachtrufes: „Kommunismus tot!“ geht eben anders! Daß der Staat „sich schützen muß“ und der Verfassungsschutz und seine Auftraggeber unter diesem Titel alles dürfen, das geht im demokratischen Deutschland völlig in Ordnung, sowas fällt ja nur in der Ex- Zone auf: als ganz und gar unerträgliche und undemokratische Stasi- Machenschaften. Aber mit diesen und allen sonstigen „Umtrieben“ in der Zone hat ja die deutsche Republik gründlichst aufgeräumt. Und mit dem Dauerverdacht gegen die Stasi, die's nicht mehr gibt, unterstreicht der demokratische Totalitarismus sein unveräußerliches Recht aufs Kaputtmachen und Säubern. Und fährt jedem übers Maul, dem was nicht paßt.
Am schlimmsten findet das neue Denken im besagten Artikel an der „alten Manier“, daß sie ganz unbeeindruckt ist „vom Scheitern des realen Sozialismus“. Verstehe ich das richtig: Der Erfolg des westlichen Systems gegen das östliche soll nur noch eines zulassen: ein Loblied auf das siegreiche System, welches auch immer seine Kosten sein mögen! Aber den „Spruch von den Kosten der Freiheit“, fand der Artikelschreiber ja schon immer „platt“. So profan antikritisch gehts's zu in den bundesdeutschen Redaktionsstuben. Bernd Ocker, Dortmund
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen