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Alles wegen Orlet

Bedrohte Orlet-Schöffin hat Angst, Mannheimer Schöffen fordern Solidarität, Orlet richtet weiter  ■ Von Julia Albrecht

Berlin (taz) – Die 33jährige Schöffin spricht nicht mehr mit der Presse. Sie will anonym bleiben. Nachdem sie am vergangenen Mittwoch nicht zur Verhandlung vor dem Mannheimer Landgericht erschienen war, erhielt sie in der Nacht darauf in ihrer Wohnung anonyme Drohanrufe. Sie ist Schöffin ebenjener Kammer, in der Richter Rainer Orlet als Beisitzer tätig ist. Orlet hatte sich vor einigen Monaten in einer Urteilsbegründung mit dem rechtsradikalen Auschwitz-Leugner Günter Deckert innig identifiziert.

Der letzte Anruf, den die Frau erhielt, endete mit den Worten: „Jetzt kommen wir.“ Kurz darauf klingelte es an ihrer Tür. Die Schöffin erstattete Anzeige gegen Unbekannt, zog aus ihrer Wohnung aus und hat Angst. Für sie gibt der Pfarrer Martin Huhn Auskunft. Mit anderen hat er für einige Schöffinnen und Schöffen Patenschaften übernommen. „Wir solidarisieren uns mit den Schöffen, weil sie aus Gewissensgründen eine Entscheidung getroffen haben, die von den geltenden Gesetzen nicht gedeckt wird.“

Die junge Frau war die erste der Mannheimer Schöffen, deren Weigerung, mit Richter Orlet zusammenzuarbeiten, zum Tragen kam. In ihrer veröffentlichen Verweigerungsbegründung formulierte sie: „Ich kann mit dem Richter Dr. Orlet aus Gewissensgründen nicht gemeinsam richten. Herr Orlet hat in seiner Urteilsbegründung Herrn Deckert eine charakterstarke und vertrauensvolle Persönlichkeit bescheinigt, obwohl er (Deckert) einer Partei angehört, die die demokratische und rechtsstaatliche Grundordnung in Frage stellt...“

Jetzt haben einige der Mannheimer Schöffinnen und Schöffen eine gemeinsame öffentliche Erklärung formuliert: „Wir weisen darauf hin, daß auch andere Schöffinnen und Schöffen sowie die Hilfs- und Ersatzschöffen überlegen sollten, ihre Verweigerung zu erklären, wenn sie dazu bereit sind.“ Das nicht ausformulierte Ziel des Aufrufs ist klar: Sollten sich genügend Schöffen der Verweigerung anschließen, könnte doch noch eine Situation eintreten, in der Orlet nicht mehr an seinem jetzigen Posten zu halten ist und zumindest innerhalb des Gerichts versetzt werden müßte. Das Stichwort ist die „Wahrung der Rechtspflege“. Sollte die gefährdet sein – und das ist der Fall, wenn einzelne Kammern nicht mehr richtig arbeiten können –, dann müßte sich das Mannheimer Gericht überlegen, den Geschäftsverteilungsplan zu verändern.

Richter Deichfuß, Pressesprecher am Mannheimer Landgericht, konnte gestern auf Anfrage keine Auskunft darüber erteilen, wieviele Schöffen unterdessen ihre Arbeit verweigern. Der Vorsitzende Richter der Orlet-Kammer, Dr. Müller, hatte ihn angewiesen, darüber nicht mehr zu berichten. Auch, so Deichfuß, lohne es nicht, Müller persönlich anzurufen. Der würde das Telefon nicht mehr abheben. Der Mannheimer Gerichtspräsident Weber hingegen ist nicht so pressefeindlich. Er weiß von mindestens neun Schöffen, die die Zusammenarbeit in der 1. und 6. Kammer verweigern, hinzu kämen ein oder zwei Hilfsschöffen, die bislang noch keiner konkreten Kammer zugeordnet sind.

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