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Alles was man braucht

■ Deutsche Erstaufführung von Agota Kristofs »John und Joe« im Modernen Theater

Als schmuckes Kleinod hat sich das Moderne Theater in den knapp zwei Jahren seines Bestehens längst in die Herzen vieler Berliner Theaterfreunde geschlichen. Auf der 30 Quadratmeter großen Bühne setzt die künstlerische Leiterin und Besitzerin Ingrid Ernst auf die ursprünglichen Mittel des Theaters, auf die Kraft von Dialog, Mimus und Gestus. Abseits der ganz großen Namen kommen auf diesen Brettern auch literarische oder dramatische Talente zum Zuge, die fast vergessen oder noch nicht »entdeckt« sind. John und Joe fügt sich als deutsche Erstaufführung in dieses Konzept, obgleich die Autorin Agota Kristof keine Unbekannte ist: Die gebürtige Ungarin, die ausschließlich in französischer Sprache schreibt, wurde durch ihren Roman Das große Heft international bekannt.

Aber obwohl sie das Theater als ihr »wirkliches Terrain« sieht, ist die Dramatikerin Kristof im deutschsprachigen Raum ein Novum. Vielleicht auch deshalb, weil ihre äußerlich kargen Stücke nicht nach Experimenten, sondern schlichten Inszenierungen verlangen. Regisseur Tobias Lenel hat das bei seinem Berliner Erstlingswerk beherzigt. Ein sparsam möbliertes Café ist Schauplatz und Treffpunkt der beiden mittellosen Flaneure John und Joe, die wegen eines unverhofften Lottogewinns in handfesten Streit geraten.

Wer nun unbedingt will, könnte aus dem Gerangel um die klingende Münze zu Zeiten der »neuen Armut« eine politische Tendenz herauslesen. Doch paßt dazu die Versöhnung mit etlichen Pflaumenschnäpsen? Ihre letzten Francs geben die Freunde lieber für Hochprozentiges als für einen neuen Lottoschein aus. Denn schließlich, so ihre Einsicht, haben sie alles, was man braucht.

Tatsächlich ist die Handlung eher Nebensache, bloßer Anlaß, Menschliches und Zwischenmenschliches unter verschiedenen Bedingungen zu studieren. Auf dem Papier wirkt das formal, fast wie aus dem Reaganzglas. Die drei Szenen der kleinen Geschichte beginnen völlig identisch: sie führen die Freunde im Alltag, mit Lottogewinn und wieder als arme Schlucker vor. Wie wenig das Gesprochene zählt, offenbart die Sprache: Die spröden Dialoge der Helden bestehen aus kurzen Sätzen, in denen Wiederholungen und Wortketten bis zum Verwirrspiel getrieben werden.

Das Stück lebt von allem, was jenseits des Offenkundigen zwischen den Zeilen geschieht — eine Herausforderung für die Hauptdarsteller. Roman Silberstein als bullig-bärtiger, von seinem Freund stets leicht genervter John und Wilfried Loll als herrlich spießig-verklemmter Joe bewältigen sie mit Bravour. Sie sind ein gegensätzliches und scheinbar unfreiwilliges Paar, dessen Mimik und Gestik vordergründig banale Debatten und Gesprächspausen in Lacherfolge verwandelt.

Nicht mehr und nicht weniger als ein amüsantes, unmittelbares Theatererlebnis bietet das einstündige Stück. Analogien zum absurden Theater, zu Beckett oder gar zum Brechtschen Lehrstück, die manche Kritiker Agota Kristof unterstellen, sind zumindest für John und Joe ziemlich abwegig. Wenn Joe seinem Freund mit Fragen nach einem ihm unbekannten Sauser auf den Wecker geht, wird daraus noch lange kein Godot. Auch surrealistische Elemente oder gar eine kafkaeske Endzeitstimmung lassen sich beim besten Willen nicht hineininterpretieren. Warum auch?

Wer mehr über Agota Kristof wissen möchte, hat heute abend dazu Gelegenheit. Matthias Weiland liest im Rahmen der Reihe »Montag — montags« aus ihrem Roman Das große Heft. Und am 18. Mai kommt die Autorin zu einem Gesprächsabend in das Moderne Theater. Karin Dahlberg

Lesung um 20.30 Uhr im Modernen Theater, Merseburger Straße 3, 2. Hof.

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