: Alles super hier
Frieder Schlaichs Otomo rekonstruiert die tödliche Konfrontation zwischen einem Asylbewerber und der Polizei ■ Von Marit Hoffmann
„Hier funktioniert alles super“, antwortet der schwarze Asylbewerber (Isaach de Bankolé) auf die Frage, warum er aus Afrika nach Deutschland gekommen ist. Recht hat er. Selbst die Filmförderung klappt hierzulande nahezu reibungslos: Zwar verweigerte man dem Regisseur Frieder Schlaich, der den authentischen Fall einer tödlichen Konfrontation zwischen einem Afrikaner und der Stuttgarter Polizei dokumentieren wollte, zunächst die Akteneinsicht.
Doch jetzt, zehn Jahre später, ist das Projekt, nunmehr zum Spielfilm umgemodelt, realisiert – finanziert vom „Kleinen Fernsehspiel“ des ZDF und mit freundlicher Unterstützung von der Stuttgarter Polizei, dem Caritas-Verband und Mercedes Benz. Schwaben können auch mal großzügig sein.
Vor zehn Jahren konnte von Großzügigkeit oder gar Toleranz allerdings nicht die Rede sein. Am 8. August 1989 wird der westafrikanische Asylbewerber Frédéric Otomo bei einer Kontrolle in der Straßenbahn festgehalten, obwohl er einen Fahrausweis vorweisen kann. Er wehrt sich und flieht. Eine Fahndung wird ausgelöst. Wenige Stunden später geht in der Polizeizentrale der Funkspruch ein: „Dringend Notarzt zur Gaisburger Brücke, mehrere Kollegen durch Bauch... zwei Notärzte, der Neger ist wahrscheinlich tot ...“ – Otomo hatte, nachdem er gestellt wurde, zwei Polizisten erstochen und war selbst von einem Beamten erschossen worden.
Die Stuttgarter Lokalpresse startete danach eine Hetzkampagne gegen den fremden „Verbrecher“ („Der Schlächter wollte morden“) und beschuldigte ihn zu Unrecht als Schwarzfahrer („Für 2,10 Mark mussten zwei Polizisten sterben“). Rechtspolitiker wie der CSU-Generalsekretär Erwin Huber, die jetzt um so lauter nach einer Verschärfung der Asylpolitik riefen, ernteten breite Zustimmung.
Diese Reaktionen kommen in der Version des ortsansässigen Regisseurs nicht vor. Das Drehbuch umfasst die letzten Stunden im Leben Otomos, orientiert sich dabei an den authentischen Eckpunkten (Verlassen des Aslyheims, vergebliche Suche nach Arbeit, Straßenbahnkontrolle, Tod) – und füllt die unbekannten Leerstellen mit fiktiven Begegnungen, die die Bedingungen verdeutlichen sollen, unter denen ein Unerwünschter in Deutschland sein Leben fristet. In einem parallelen Handlungsstrang skizziert Schlaich Alltag und Streifendienst der beteiligten jungen Polizisten – bis zu ihrem Zusammentreffen mit dem Fahndungsobjekt auf der Brücke. Am Ende stehen die Beerdigungen: Originalaufnahmen von der pompösen Zeremonie für die Polizisten, kontrastiert mit (fiktiven) Bildern von vereinzelten Trauergästen am unscheinbaren Grab Otomos.
In dem Bemühen, jede Sensationslust zu vermeiden, machen es Schlaich und der als Co-Autor engagierte Zeitgeistdramatiker Klaus Pohl den Darstellern schwer: Bankolé, bekannt aus Jim Jarmuschs Night on Earth und Ghost Dog, und Eva Mattes als afrikabegeisterter „Althippie“ müssen sich mit steifen Theaterdialogen abplagen. Und die etwas altbackene Autorenfilmästhetik (Freundeskreis untermalen sie mit angenehm nüchternem Instrumental-HipHop) erreicht nur in der atemberaubenden Tatsequenz tatsächlich Kinoqualität.
So ist Otomo aufwühlend wie ein öffentlich-rechtliches Fernsehspiel und wirkungsvoll wie eine Lichterkette. Sein didaktisches Versöhnungsangebot an die Einheimischen: Seht her, wir zeigen Verständnis für die ressentimentanfälligen, vom Alltagsstress gefrusteten Polizisten, nun müsst ihr aber auch zugeben, dass der Täter ebenfalls nur ein Opfer war. Und, wer weiß, vielleicht legen die Stuttgarter Ehrenbürger bei der nächsten Kranzniederlegung für die toten Polizisten tatsächlich eine Gedenksekunde für den in den Tod getriebenen Asylbewerber ein. Die Stuttgarter Nachrichten lobten Schlaich jedenfalls für den Beweis, „dass Stuttgart eine Stadt zum Filmemachen ist – denn die Stadt hat eine Menge interessanter Geschichten zu erzählen“. Ist eben alles super hier.
Premiere (in Anwesenheit des Regisseurs Frieder Schlaich): Sa, 8.4. weitere Aufführungen: Mo, 10.4., 21 Uhr + Mi, 12.4., 21.15 Uhr + Mi, 14.4., 21.15 Uhr + Mo, 17.4. 17 Uhr + Di, 18.4., 19 Uhr, alle Metropolis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen