: Alles ruhig in Syrisch-Kurdistan
Damaskus unterstützt kurdische Aktivitäten nur, solange sie im benachbarten Ausland stattfinden/ Geheimdienst allgegenwärtig ■ Aus Hassakeh Klaus Kurzweil
Die Provinzhauptstadt Hassakeh liegt 50 Kilometer vor der irakischen Grenze im nordöstlichen Zipfel Syriens. „Al Jezira“ — Die Insel — wird das Land genannt, das sich zwischen den beiden Flüssen Euphrat und Tigris auf irakischem und syrischem Gebiet erstreckt. Neben Assyrern, Beduinen und einigen Armeniern leben hier vor allem Kurden, auf beiden Seiten der Grenze. 1,5Millionen sollen es in Syrien sein. Nach kurdischer Auffassung gehören Teile der syrischen Jezira und Gebiete entlang der syrisch-türkischen Grenze zu Kurdistan.
Die Kurden in Hassakeh beobachten die Lage im Nachbarland Irak mit großem Interesse. Viele haben Verwandte jenseits der Grenze, einige syrische Kurden kämpfen sogar im Irak gegen die Truppen Saddam Husseins. In syrischen Medien wird der Bürgerkrieg im Irak „Volksrevolution“ oder, wie der Aufstand der Palästinenser, „Intifada“ genannt. Die syrische Führung unterstützte erst den Krieg und jetzt den Bürgerkrieg gegen den verhaßten Konkurrenten Saddam Hussein in Bagdad.
Aus Syrien werden Medizin, Lebensmittel und nach Berichten von Augenzeugen auch Waffen zu den Aufständischen im Irak geschafft. Bei aller Unterstützung der Aufständischen im Irak achtet die syrische Führung aber sorgfältig darauf, daß der Funke nicht auf das eigene Land überspringt. Das Netz des Geheimdienstes in der Jezira ist dicht, und während im Irak die Bilder Saddam Husseins verbrannt werden, entsteht im Zentrum von Hassakeh eine neue überdimensionale Assad-Statue.
Hassan ist Kurde. Bevor er über die Lage der Kurden in Syrien spricht, verschließt er sorgfältig Tür und Fenster, damit niemand mithören kann: „Ich lebe hier in Hassakeh. Das heißt, ich esse, trinke und bewege mich, aber psychisch bin ich tot.“ Hassan kramt eine rote Pappkarte, auf der sein Paßbild klebt, aus der Tasche. „Identitätskarte für Ausländer“ steht dort auf Arabisch, und weiter: „Berechtigt nicht zur Ausreise aus der Arabischen Republik Syrien“. Mindestens 150.000 der syrischen Kurden haben solche Karten. „Wir sind Residenten wider Willen hier“, erklärt Hassan, „Ausländer, die nicht ausreisen dürfen.“ Auch innerhalb Syriens sind diese „Ausländer“ benachteiligt: „Ich darf offiziell kein Auto anmelden, bekomme keine staatlich rationierten Lebensmittel, und wenn ich nach Aleppo oder Damaskus fahre, darf ich in keinem Hotel übernachten. Die syrische Regierung spricht viel von den Kurden im Irak, im Iran und in der Türkei, aber von den Kurden, die hier leben, spricht sie nicht, schon gar nicht von denen, die hier im Gefängnis sitzen“, beschreibt Hassan die syrische Kurdenpolitik.
Mindestens sieben kurdische Parteien gibt es in Syrien. Offiziell sind sie verboten, einige werden aber mehr oder minder geduldet. Wenn sich ihre Aktivitäten auf das angrenzende Ausland beschränken, werden sie trotz Verbot von der Regierung unterstützt. Die „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK), die vor allem durch ihren Guerillakrieg in der Türkei bekannt ist, trifft sich in Syrien offiziell nur als Freundeskreis, unterhält aber in der syrisch kontrollierten Bekaa-Ebene im Libanon Ausbildungslager für ihre Guerillakämpfer. Einige syrische PKKler wurden als sogenannte Parteilose in Kommunalparlamente gewählt. Doch Hassan hält wenig von der syrischen Unterstützung für den Aufstand im Irak: „Syrien unterstützt die Kurden im Irak nur, um das Regime in Bagdad zu schwächen, an einem autonomen Kurdenstaat haben auch die Syrer kein Interesse.“
Die rechtliche Situation der Kurden in Syrien ist undurchsichtig. Offiziell verankerte Rechte haben sie nicht. Etliches ist verboten, wird aber toleriert, solange es sich nicht gegen die Regierung in Damaskus richtet. Kurdische Bücher und der Unterricht der kurdischen Sprache sind verboten, aber Kurdisch darf gesprochen werden, und Kassetten mit kurdischer Musik und kurdischem Gesang werden frei verkauft. Einen besonderen Status hat das kurdische Neujahrsfest Newroz. Offiziell ist es verboten, aber um Unruhen zu vermeiden, verlegte die syrische Regierung Newroz auf den 21. März — einen extra geschaffenen „Muttertag“. Der Tag wurde auch dieses Jahr mit kurdischer Musik, den kurdischen Nationalfarben und politischem Theater, das die Situation der Kurden im Irak und der Türkei kritisierte, begangen. Dafür, daß Kritik an Syrien nicht aufkam, sorgte der allgegenwärtige Sicherheitsdienst. Statt dessen klebten an den Lautsprechern Fotos von Präsident Assad, und kurdische Redner lobten in ihren Ansprachen „die weise Führung der Baath-Partei“ in Syrien.
Der Aufstand im Irak hat die Position der syrischen Regierung in der Jezira nicht geschwächt. Die syrischen Kurden setzen alle Hoffnung auf ihre Nachbarn im Irak, der Gedanke an einen Aufstand im eigenen Land ist ihnen fern. Hassan ist pessimistisch: „Der Aufstand im Irak hat für die Kurden in Syrien nichts geändert.“ Die Kurden im Irak hätten schon lange vorher gegen das Regime gekämpft, als Peschmerga- Guerilla in den Bergen: „Wir können hier keinen Guerillakrieg führen. Hier gibt es keine Berge, nur kahle Ebenen, und außerdem ist die Regierung in Damaskus stark. Die Leute hier haben zuviel Angst vor ihr.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen