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Archiv-Artikel

Alles kann geschehen

Vor zwanzig Jahren verabschiedete sich die linke Theorie vom Prinzip Realismus

Von HF

Die Revolution hat sich der letzte Woche mit 95 Jahren verstorbene Schriftsteller-Philosoph Maurice Blanchot als Leere vorgestellt: „Sie ist die absolute Freiheit, die Ereignis geworden ist“, schreibt er im 1949 veröffentlichten Band „La part du feu“, und weiter: „die Freiheit erhebt darin, in diesem Augenblick den Anspruch, in der unmittelbaren Form des Alles ist möglich, Alles kann geschehen, verwirklicht zu werden“.

Über 30 Jahre hat es gedauert, bis der Essay unter dem Titel „Die Literatur und das Recht auf den Tod“ ins Deutsche übertragen und vom Merve-Verlag veröffentlicht wurde. Vermutlich war es weniger der Existenzialismus, den man in der Utopie noch mitlesen konnte, der das aus einer marxistischen Gruppe hervorgegangene Verlegerkollektiv faszinierte. Viel mehr war ihnen Blanchot ein frühes Beispiel für ein Denken, dass sich auf Negation und Abwesenheit beruft. Der „Tod des Autors“ ist bei Blanchot noch kein Mythos, sondern das grundlegende Paradox jeglicher Textproduktion: „Das Wort scheint mir, was es bedeutet, aber zuvor hebt es dies auf. Damit ich sagen kann: diese Frau, muss ich auf die eine oder andere Weise sie ihrer Wirklichkeit aus Fleisch und Blut benehmen, sie zu einer Abwesenden machen und vernichten.“

Solche Sätze lesen sich wie ein feiner und doch harter Hieb: gegen eine linke Kunst, die glaubt, Realität per Abbildung besser kritisieren zu können.

Weg vom Materialismus, hin zu den Wörtern – in diesem Sinne hat sich auch Merve-Verlegerin Heidi Paris an Blanchot als Vorbild orientiert. Ihr unveröffentlichter Text von 1983, den wir hier in Erinnerung und als Hommage abdrucken, beschreibt nicht bloß eine Annäherung, er ist auch eine endgültige Abkehr von den Fronten nach 68: „Wir haben nur gesprochen, um zu urteilen“, heißt es in ihrem Resümee. Paris weiß, das da etwas schief gelaufen ist: Der politische Kampf ist verloren, der bewaffnete Kampf längst als Irrtum erkannt.

„Schreiben, nicht um zu fixieren“: die Literatur ist deshalb auch ein ästhetisches Exil Anfang der Achtzigerjahre. Bei Merve erscheinen nun Texte über John Cage, über Kafka und über die „Sprachen des Körpers“ anstelle von „Kontroversen über den kapitalistischen Staat“. Im vergangenen Jahr hat Heide Paris den Freitod gewählt. Demnächst wird der Verlag eine Auswahl ihrer Schriften veröffentlichen. HF