: Alles Müller oder was?
■ Hannoveraner Klatsch&Tratsch-Blatt übernimmt Hamburger Rundschau Von Marco Carini
Es dürfte die kurioseste Hamburger Presseehe des gerade begonnenen Jahres sein: Die linksliberale Hamburger Rundschau (HR), seit Jahren von Finanznöten geplagt, hat einen neuen Mehrheitsgesellschafter. Der Hannoversche Verlag „Heim und Welt“, Herausgeber des gleichnamigen Klatsch & Tratsch-Blattes, hat in Zukunft in der Langen Reihe 29 das Sagen. Das 1,70 Mark teure Blättchen (Auflage 110.000 Stück) fiel in der Vergangenheit in erster Linie durch Kampagnen zur Rettung der deutschen Volksmusik, tränenrührige Schicksalsberichte und ausgedehnte Gesundheitstips für die betagtere Leserin auf.
„Ich bin sehr froh, die gefunden zu haben“, freut sich der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Jo Müller, der bislang als Verleger, Herausgeber und Chefredakteur zugleich die Geschicke des „Kulturjournals“ lenkte. Kein Wunder: Seit Müller im Herbst 1990 die Rundschau übernahm, ist das Blatt, dessen verkaufte Auflage auf unter 10.000 Exemplare absank, für den selbsternannten Verleger ein Zuschußgeschäft. Auch der Veranstaltungsteil „Up To Dates“ und etliche Blattreformen konnten die Talfahrt nicht bremsen, die Redaktion wurde ausgedünnt, die Personalkosten wurden drastisch reduziert.
Für Manfred Jung, Geschäftsführender Gesellschafter von „Heim und Welt“, sind vor allem „ideelle Gründe“ für die Verlagsübernahme entscheidend: „Es lohnt sich, daß es so eine Zeitung für Hamburg gibt“. Daß die HR bald mit Kolumnen nach „Heim und Welt“-Strickmuster (“Hier bellt Bulli“, „Ich bin immer für sie da – Guter Rat von Eva-Marianne Stephan“) auf sich aufmerksam machen wird, steht nicht zu befürchten. Nach übereinstimmenden Auskünften von Müller und Jung sei im Übernahme-Vertrag „die journalistische Unabhängigkeit“ der Redaktion garantiert worden.
Mit großen Gewinnen rechnet Jung nicht: „Wir streben mittelfristig ein ausgeglichenes Ergebnis an“. Den Abschied von den roten Zahlen verspricht sich der Verleger dadurch, daß Geschäftsführung und Vertriebsorganisation der HR künftig in Hannover abgewickelt wird: „Der Rundschau fehlte bislang vor allem eine professionelle Verwaltung; das können wir von hier aus leisten“.
Drei weitere Maßnahmen sollen das 1982 als „Kaktus in der Pressewüste“ gegründete Wochenblatt aus den Miesen führen: Eine im Frühjahr anlaufende große Werbekampagne soll den Bekanntheitsgrad steigern, die Anzeigenabteilung soll personell verstärkt werden. Und Jo Müller, der weiterhin als Chefredakteur und Herausgeber fungieren wird, plant bereits die nächste Blattreform. Der kaum noch vorhandene politische Teil soll wieder ausgebaut werden. Künftige Schwerpunktthemen: Stadtentwicklung und Umwelt.
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