: Allergeilste Demokratie
Teurer, lauter, bunter, staatsmännischer: Techno als Materialschlacht und Massensinnstiftung beim diesjährigen Mayday ■ Von Johannes Waechter
„Der Aufwand stellt alles, was es bisher in der Geschichte von Mayday und Parties überhaupt jemals gegeben hat, in den Schatten: 250 Tonnen Licht und Ton, 500.000 Watt Sound, 200 Techniker, eine Woche Aufbauzeit...“ – große Töne. Aber wollen die Mayday-Vorsitzenden Westbam und DJ Dick ihrem von Erich Honecker übernommenen Motto „Forward ever, backward never“ gerecht werden, müssen sie sich mit jedem neuen Mayday-Megarave selbst übertreffen: Teurer, lauter, bunter, zur Ehre des Maschinenrhythmus werden keine Mühen gescheut. Jeder Mayday ist deshalb der größte Rave aller Zeiten, für jeden neuen Mayday liegt die Latte wieder etwas höher.
Vergleichsweise leicht zu übertreffen ist dabei die beim jeweiligen letzten Mal aufgestellte Marke des Aufwands der technischen Installationen: Eine Materialschlacht verträgt schließlich immer noch ein paar zusätzliche Divisionen. So kommt es, daß der diesjährige Herbst-Mayday mehr Moving- Truss-Systeme mit fahrbaren Aluminiumtraversen, mehr High-Power-Farbwechsel-DMX-Digital- Strobes, mehr Mehrfarblaser vom Laser-Weltmeister TARM und mehr Electro-Voice-MT-4-Double-Bass-Soundsysteme von A.D.A.M. (Heusenstamm) verbaut als der letzte Mayday „Rave Olympia“ in Dortmund – die Raver werden es zu schätzen wissen.
Schwieriger als die Akquisition von zusätzlichem technischem Schnickschnack ist der ideologische Fortschritt, den jeder Mayday bringen muß. Denn in der Öffentlichkeit präsentieren die Initiatoren ihren Tanzkongreß längst nicht mehr als schnöde Party. Will man den von Werbung und Szeneorganen kommunizierten Signalen glauben, so ist Mayday der Ort, an dem eine neue Jugendkultur von ihren Vordenkern mehr oder weniger verbindlich definiert wird. 25.000 in der Dortmunder Westfalenhalle oder eine innerhalb von zwei Wochen ausverkaufte Deutschlandhalle, die zu einem doppelten Mayday führte, sind nicht die schlechtesten Indizien, diesen Anspruch zu untermauern.
Tanz das Sakrament
Der Wille zur Führung, der das Mayday-Team treibt, hat zur Folge, daß die ausgegebenen Materialien stets auf ebenso interessante wie skurrile Art ideologisch überfrachtet sind: Die Programmhefte sind mit vollmundigen Manifesten gefüllt, und schon die Namen der einzelnen Raves sprechen Bände. So trug Mayday5, vor einem Jahr in der Halle in Berlin- Weißensee veranstaltet, den Titel „Religion“ – die Techno-Party wird zum Sakrament erklärt, das einem potentiell ereignislosen Leben Sinn verleiht. Mayday6 setzte natürlich einen drauf – in „Rave Olympia“ klang neben Assoziationen wie „Gipfel“, „Höchstleistung“ und „Jugend“ auch der Wunsch an, die eigene Kultur vor den Augen der Welt zu präsentieren. Am Ende des Jahres, in dem Techno endgültig der Sprung zum Mainstream-Massenphänomen gelang, wirbt Mayday7 nun mit dem Namen „The Raving Society (We Are Different)“.
Wir sind anders und bauen uns unsere eigene Gesellschaft – mit dieser Behauptung wird die Grenze zwischen privatem Vergnügen in Gesellschaft von Gleichgesinnten und öffentlicher Organisation der tribalistischen Party- Programmtik, die „Religion“ und „Rave Olympia“ noch eingehalten hatten, bewußt überschritten. Forscht man dann jedoch nach, wie die ravende Gesellschaft denn nun genau aussehen soll, so stößt man auf Plattitüden und Lachnummern. An einer Stelle des Programmhefts werden die Raver zum Beispiel als „eigene Klasse in der Gesellschaft“ bezeichnet, mutmaßlich in einen erbitterten Klassenkampf mit der Klasse der Volksmusik-Fans verstrickt. Und daß die „positive Energie“ von Techno-Raves „die ganze Welt verändern kann“, werden wohl nur die bedröhntesten Dauertänzer glauben.
Auch Westbam, der in scharfsinnigen Essays schon vor Jahren die jetzigen Entwicklungen vorhergesagt hat und der auch dadurch, daß er in der von ihm maßgeblich begründeten Kunstform auch nach einigen Jahren ihres Bestehens noch federführend und kommerziell erfolgreich ist, seinen klaren Kopf beweisen konnte, muß tief in die Kiste der staatsmännischen Worthülsen greifen, um die ravende Gesellschaft zu beschreiben: „Für uns ist die raving society international, eine eigene Welt mit eigenen Regeln und Strukturen, die ,allergeilste Form von Demokratie‘, für uns ist sie a higher community with a higher reality, mit einer eigenen Sprache und eigenen Feiertagen.“ Dr. Motte hat diese originäre Techno- Befindlichkeit mit weniger Worten auf den Punkt bringen können: „Friede, Freude, Eierkuchen.“
Rave Utopia?
Nur dadurch, daß Techno so groß geworden ist, sind die Musik und die Bewegung nicht sinnvoller, auslegbarer oder spiritueller geworden. Der Zweck (eigentlich der Selbstzweck) von Techno ist heute derselbe wie auf den allerersten Tekknozid-Parties: Drogen nehmen und tanzen, bis man nicht mehr kann. Der Versuch, diese Tatsache durch aufgepfropfte Sinngebilde vergessen zu machen, ist eher Ausdruck einer gewissen Hybris im Angesicht der losgetretenen Lawine, als daß er tatsächlich irgend etwas erklären würde.
Nichtsdestotrotz wird bei Low Spirit sicher schon das Motto für den nächsten Mayday am 30.4. 1995 geschmiedet. Rave Utopia? Heaven On Earth Rave? United Nations Of Rave?
Heute und morgen von 23 Uhr bis Ultimo in der Berliner Deutschlandhalle.
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