Alleinerziehende Mütter in der Pandemie: „Mein Stolz ist zu groß“
Fast 85 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland sind Frauen. Wie ergeht es ihnen in der Pandemie? Die Fotografin Sophie Kirchner hat einige von ihnen begleitet.
Flor
S ie wollte sich Unterstützung holen und wurde abgewiesen. Jetzt ist ihr Stolz zu groß. Immerhin, die Kinder sind selbstständiger als zu Beginn der Pandemie
Jeden Tag passiert etwas anderes: Gerade haben sich drei Erzieher an der Kita meiner Kinder mit Covid angesteckt, deswegen hat sie nur wenige Stunden offen. Ich musste morgens eine Stunde selbst Betreuung bezahlen, dann nachmittags noch mal, damit ich arbeiten kann. Ich arbeite selbst als Erzieherin.
Während der Pandemie habe ich mich oft einsam gefühlt. Ich wusste oft nicht, was erlaubt ist und was nicht. Dann fielen die Kontakte weg, das machte mich unsicher. Ich konnte das verstehen, man wusste ja nicht viel über das Virus und die Menschen wollten sich schützen.
Das Projekt
Diese Bildreportage ist Teil des Berliner Projekts In Waves – #womenincovid. 24 Fotografinnen gehen der Frage nach: Wie verändert die Pandemie das Leben von Frauen? Mit der Kamera begleiten sie Frauen in verschiedenen Lebenssituationen im Alltag und machen ihre Erfahrungen öffentlich sichtbar: inwaves.berlin
Die Fotografin
Sophie Kirchner hat in Hamburg und Baltimore Fotografie studiert und arbeitet regelmäßig für die taz: sophiekirchner.com
Meine Kinder sind noch klein und verlangen viel Aufmerksamkeit. Man sagt, dass die ersten drei Lebensjahre anstrengend sind, danach wird es einfacher.
Alleinerziehend zu sein ist das eine, aber ohne ein soziales Umfeld, das ist noch mal was anderes. Es gab Nächte, da bin ich 17 Mal aufgestanden, tagsüber dann aufräumen, einkaufen und die Kinder beschäftigen.
Es kam der Tag, da konnte ich nicht mehr. Ich kam auf die Idee, dass ich etwas Hilfe im Alltag beantragen könnte. Ich legte meinen Stolz beiseite und ging zum Amt. Die Sachbearbeiterin war leider nicht so freundlich, sie sagte zu mir: „Damit Leute wie Sie ihre Wäsche gewaschen bekommen, gehe ich arbeiten!“ Zu dem Zeitpunkt war zu allem Überfluss nicht klar, ob ich ausziehen muss, denn der Besitzer des Hauses, in dem wir wohnten, hatte gewechselt. Der neue plante eine Sanierung.
Die Frau beim Amt sagte, ich könne mich bei der Obdachlosenhilfe melden, die würden mir für eine Weile eine Unterkunft geben. Dabei wollte ich nur ein bisschen Hilfe beim Einkaufen und mit der Bürokratie, denn Deutsch ist nicht meine Muttersprache. Ich war so wütend, dass ich mich beschwerte. Aber bis auf eine Entschuldigung ihrer Vorgesetzten kam nichts zurück. Ich sagte zu mir: „Es kommen auch wieder bessere Zeiten, ich kann das alleine schaffen.“
Die Notbetreuung habe ich auch nicht wirklich verstanden. Ich durfte meine Kinder nur abgeben, damit ich arbeiten gehen konnte. Das war aber keine Entlastung. Ich durfte sie, laut Senatsverordnung, nur so lange in der Kita lassen, wie ich arbeiten war. Zu Hause war ich total erledigt und wollte trotzdem für meine Kinder da sein. Ich weiß noch, wie mein Sohn eines Tages fragte: „Mama, kannst du mich bitte umarmen?“
Er war nicht mal drei Jahre alt. Und meine Tochter fragte mich, ob ich mich einsam fühlen würde. Das zeigte mir, dass Kinder sehr viel mitbekommen und die Pandemie nicht spurlos an ihnen vorbeigeht.
Was besser ist als vor einem Jahr? Dass meine Kinder selbstständiger sind. Und ich habe eine neue Wohnung gefunden. Ich muss kämpfen, um sie zu bezahlen, und bekomme keine Unterstützung vom Amt. Mein Stolz ist zu groß. Aber vielleicht werde ich es noch mal versuchen.
Ich freue mich auf den Frühling, aber ich glaube, Corona wird uns weiter begleiten. Ich hoffe, dass die Angst weggeht. Dass man beim Nachbarn klingeln und fragen kann, ob die mal kurz auf die Kinder aufpassen. Es braucht ein Dorf, um Kinder aufzuziehen.
Franziska
Sie erfuhr kurz nach der Trennung, dass sie schwanger ist, bei der Geburt war sie meist allein. Jetzt will sie anderen Alleinerziehenden helfen
Alleinerziehend bin ich von Anfang an. Ich habe mich getrennt, kurz bevor ich gemerkt habe, dass ich schwanger bin. Die Schwangerschaft habe ich dann teilweise als sehr einsam erlebt. Gerade durch Corona, da war man ja noch mal speziell isoliert. Neue Kontakte, die man hätte knüpfen können, sind so nicht entstanden. Wir mussten ja alle voneinander Abstand nehmen.
Meine Begleitperson bei der Geburt war dann meine Cousine. Die durfte aber erst in der letzten Phase der Geburt dabei sein. Ich habe mich im Krankenhaus sehr alleingelassen gefühlt. Ich glaube, die Angst des Pflegepersonals, sich anzustecken, hat dazu geführt, dass viele auch emotional distanziert waren. Aber ich weiß nicht, ob das an Corona lag oder einfach daran, dass es eine sehr geburtenstarke Klinik war. Ich war froh, dass meine Cousine wenigstens bei der Geburt dabei sein durfte. Bei den Voruntersuchungen war ich immer allein. Ich hatte nur virtuell die Möglichkeit, mich mit anderen auszutauschen und zu sagen: „Hey, das passiert hier gerade!“ Es war aber keiner da, der mich hätte beruhigen oder an die Hand nehmen können.
Ich hatte eine komplizierte Geburt, über mehrere Tage hinweg. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich kein Anrecht auf den Schmerz habe, den ich spürte. Das war das Schlimmste.
Klar, ich kann verstehen, dass die Befürchtung groß war, jemanden als Begleitperson mitzubringen, der vielleicht Corona hat. Die wurden zwar alle getestet, aber erst kurz vor der Geburt. Warum testete man sie erst, wenn der Muttermund schon ein paar Zentimeter auf ist? Das hat für mich einfach keinen Sinn ergeben. Wobei ich noch froh sein konnte, denn es gab zu der Zeit auch Geburtskliniken, die gar keine Begleitperson erlaubt haben. Die Frauen haben einfach allein entbunden. Das wünsche ich niemandem.
Ich hab meinen Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungskurs online gemacht. Mir fehlte der direkte Austausch mit den anderen Müttern. Das einzig Gute war, dass auch der Ansturm der Verwandtschaft nach der Geburt wegen der Kontaktbeschränkungen ausblieb. So konnte ich mir etwas Zeit lassen, um zu Hause anzukommen und mich von der Geburt zu erholen.
Der letzte Sommer war sehr schön. Es hat sich fast so angefühlt, als wäre Corona vorbei. Aktuell ist es wieder schwieriger. Alle um uns herum sind ständig in Quarantäne, dadurch fallen viele Kontakte weg. Der Babyschwimmkurs, die Krabbelgruppe, vieles wird abgesagt. Manchmal fühle ich mich wieder wie im Lockdown und drehe zu Hause fast durch. Aber es geht bergauf! Ab Sommer haben wir einen Kitaplatz, direkt gegenüber von zu Hause. Aber ich hab die Kita noch nie von innen gesehen. Ich hoffe, der Kennenlerntermin wird nicht auch noch abgesagt.
Im Herbst habe ich ein Projekt gestartet, SingleMoments, das ist ein Blog und Podcast. Es soll Alleinerziehenden Mut machen und zeigen, wo man Unterstützung und Beratung bekommt.
Michaela
Sie konnte der Coronazeit auch etwas Gutes abgewinnen
Jetzt, nach zwei Jahren Pandemie, ist für viele das Leben wieder ziemlich normal, für Alleinerziehende nicht. Die Kita wird immer wieder wegen Quarantäne geschlossen, dann muss ich schnell die Zwillinge holen. Am Anfang der Pandemie war ich noch in Elternzeit, das ging, aber jetzt muss ich arbeiten.
Man ist als Alleinerziehende auf Kontakte angewiesen und die wurden plötzlich sehr beschränkt. Im Kindergarten meiner Zwillinge konnten zum Beispiel keine Sommerfeste stattfinden, deshalb kannte ich lange Zeit keinen aus der Kita.
Meine große Tochter geht normalerweise unter der Woche ins Internat. Aber während der Lockdowns saß sie dann hier zu Hause. Das war für sie natürlich ein größerer Unterschied als für Schulkinder oder Jugendliche, die nicht unter der Woche in einem Internat wohnen. Immerhin war ich zu diesem Zeitpunkt mit den Zwillingen noch in Elternzeit, so konnte ich das auffangen. Aber ich habe mich gefragt, wie das wohl andere Eltern machen.
Für meine Tochter war das Homeschooling eine harte Zeit, denn die Schule war zu Beginn noch nicht dafür aufgestellt. Es war chaotisch. Trotzdem wurde seitens der LehrerInnen viel von ihr gefordert. Sie musste sich von jetzt auf gleich selbstständig organisieren. Dabei war sie doch erst in der 9. Klasse! Ich muss aber sagen, dass sich das Internat verhältnismäßig schnell auf die neue Situation eingestellt hat, das lief ja bei vielen Schulen anders. Trotzdem fehlten ihr die MitschülerInnen und LehrerInnen sehr.
Ich hatte während der Pandemie manchmal das Gefühl, dass die Gesellschaft gerade das Gleiche durchmacht wie ich als Alleinerziehende, aber schon vor Corona. Ich konnte bereits vor der Pandemie schon gar nicht mehr richtig am Leben teilhaben. Denn ich bin 365 Tage im Jahr, 7 Tage die Woche, 24 Stunden am Tag die einzige Bezugsperson für meine drei Kinder.
Das klingt jetzt blöd, aber die Lockdowns haben sich sogar ein wenig wie Trost angefühlt.
Ich dachte: „Jetzt geht es nicht nur mir allein so, sondern allen anderen da draußen auch. Wir sitzen quasi im selben Boot.“ Es fühlte sich an wie eine unfreiwillige Solidarität. Aufgefallen ist mir das besonders, als die Maßnahmen wieder gelockert wurden. Für mich hat sich auch danach nichts geändert, ist nichts wieder leichter geworden, für die anderen schon. Daher war Corona für mich am Ende gar keine so große Veränderung.
Im Gegenteil, teilweise kam mir die Krise sogar gelegen. Zum Beispiel konnte ich meine Zwillinge in die Notbetreuung geben, und ich musste die Jugendweihe für meine Tochter nicht ausrichten. Das waren Erleichterungen. Ich hätte nicht gewusst, wie ich das hätte organisieren sollen. Und die Elternabende liefen per Zoom, auch das war eine Erleichterung im Alltag. Die Pandemie war für mich deshalb auch ein Puffer, der mir Zeit gab, zu verschnaufen, nach der Trennung vom Vater der Zwillinge. Wie eine Atempause.
Und jetzt? Vielleicht müssen sich alle einmal anstecken. Meine Tochter war gerade positiv, zum Glück hatte sie kaum Symptome. Der Rest der Familie hat sich nicht angesteckt. Ich bin optimistisch und glaube, dass die Pandemie bald geschafft ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“