: Allein zu Hause
Urlaub ist gut. Endlich mal wegfahren, alles hinter sich lassen. Aber wer gießt derweil die Pflanzen? Eine wahre Geschichte
von LISA SCHUSTER
Sicher kennen Sie das: Der Sommerurlaub steht vor der Tür, und wie jedes Jahr zählt man kurz vorher die Tage, bis es endlich losgeht. Der Hund muss noch in treu sorgende Hände gegeben werden oder allerschlimmstenfalls eben wieder an eine der teuren Tierpensionen. Die Zeitung ist bereits für drei Wochen an eine Einrichtung für Hilfsbedürftige verschenkt, die Post hat man vorsichtshalber auf postlagernd umgestellt.
Und dann könnte es eigentlich losgehen – wenn da nicht die Pflanzen wären. Da fügte es sich vergangenes Jahr, dass unsere Nachbarin Sylvie, obendrein auch noch um drei Ecken mit uns verwandt, während unseres Urlaubs zu Hause blieb. Ob sie denn Zeit und Lust hätte, sich um meine Pflanzen zu kümmern, fragte ich vorsichtig bei ihr an. Und zu meiner großen Freude war sie auch willens und kam gleich auf einen Sprung zu uns rüber. „Also“, legte ich los, „die kleinen Pflanzen stelle ich dir auf einem Tisch zusammen“ – um vor allem die Möbel zu schonen, ich habe nämlich keine Lust auf Wasserflecken. Das sagte ich Sylvie so natürlich nicht, schließlich war ich ihr sehr dankbar.
„Dann gibt es noch die großen Töpfe, die natürlich an ihrem angestammten Platz bleiben“, fuhr ich fort. „Die Blumen im oberen Stockwerk brauchst du nicht zu gießen, die stelle ich in die Badewanne, passen nämlich alle gerade so eben rein.“ Das ist mein Trick von meiner Mutter: Die richtige Menge Wasser dazu, und sie überleben den Urlaub, als wäre ich nie weg gewesen. Das Bad hat ohnehin das beste Licht im ganzen Haus. Mir kam schon mal die Idee, die Töpfe aus dem Obergeschoss für immer und ewig in die Wanne zu verfrachten – allerdings könnte dann eben keiner mehr baden. Wie auch immer, Sylvie war jetzt instruiert.
Am Abend erklärte ich meiner achtzehnjährigen Tochter, wie ich mir die Blumenversorgungsplanung vorstellte. Meine liebe Tochter hatte sich nämlich zuvor beharrlich geweigert, die Blumen verbindlich zu versorgen. Mir klingen noch ihre Worte im Ohr: „Weißt du, Mama, wir sind ja vielleicht gar nicht so oft hier, und Mahlsdorf liegt doch am Ende der Welt. Außerdem sind die Eltern von Hannes ja auch in der zweiten Hälfte eures Urlaubs verreist, dann sind wir bestimmt mehr bei ihm in Kreuzberg als hier.“ Ja, ich wusste.
„Okay“, sagte ich also. „Ich kann deinen Standpunkt verstehen, aber ich brauche nun mal eine verbindliche Zusage fürs Gießen. Wenn du nicht, dann eben jemand anders.“ Darauf lächelte sie vorsichtig, als hätte sie Zweifel, dass ich denn nun jemanden Kompetentes würde ausfindig machen können. Mittlerweile hatte sich Sylvie ja nun gefunden, und darüber wollte ich meine Tochter nun auch aufklären – Entwarnung geben, sozusagen, dass der Kelch in Sachen Blumen in diesem Jahr tatsächlich an ihr vorübergegangen war.
Aber anstatt sich zu freuen und vielleicht eine Winzigkeit an Dankbarkeit zu zeigen, war ihr meine Lösung auch wieder nicht recht: „Was, die Sylvie soll das machen? Aber dann kommt die ja auch ins Haus. Und … und …“, sie geriet etwas ins Stottern, „… was ist, wenn wir dann doch da sind und vielleicht gerade schlafen, weil wir erst nachts so spät nach Hause gekommen sind, Mahlsdorf liegt doch nun wirklich am Ende der Welt.“ Immer dieses Mahlsdorf-am-Ende-der-Welt-Argument. Ich konnte es schon nicht mehr hören.
Aber ich gab auch in dieser Situation wieder die ganz Verständnisvolle. „Wie können wir das jetzt klären? Gießt du nun die Blumen oder Sylvie? Eine von euch muss es tun, und die muss es mir auch verbindlich zusagen. Du weißt, wie ich an den Dingern hänge.“ „Okay, Mama“, sagte meine Tochter. „Kein Problem. Wir machen es so: Ich gieße, wenn ich da bin, und Sylvie soll gießen, wenn ich nicht da bin.“ Das erschien mir nicht so ganz einleuchtend. „Und wie findet Sylvie heraus, wann du da bist? Wollen wir geheime Rauchzeichen vereinbaren?“ Meine Kleine darauf: „Ich rufe sie von der Arbeit aus einfach an und sage ihr, ob wir die Nacht in Mahlsdorf oder Kreuzberg verbringen.“
Das war mir alles immer noch zu vage. Wir hatten schließlich bereits Sommer, draußen war es gerade herrlich. „Sylvie hat keinen Anrufbeantworter. Sie kann doch nicht immer in der Bude neben dem Telefon sitzen und auf deine Anrufe warten. Sie hat schließlich auch Pläne“, wandte ich ein. Dann die alles rettende Idee meiner Tochter: Wenn sie und ihr Freund da sein würden, ließen sie die Küchenjalousie unten, dann wisse Sylvie Bescheid, dass jemand, konkreter, sie, im Haus sei.
Nachdem wir Sylvie angerufen hatten und diese die Idee meiner Tochter plausibel und ganz wunderbar fand, war alles eitel Sonnenschein. Gleich zwei Frauen würden sich um die Pflanzen kümmern – es schien mir keine besser Lösung zu geben. Der Urlaub konnte also endlich starten, und niemals saß ich entspannter im Flieger und schaute auf das immer kleiner werdende Berlin runter – auf nach Spanien.
Drei Wochen später. An die Blumen hatte ich währenddessen natürlich als Allerletztes gedacht, ich hatte sie ja in fürsorgliche Hände gegeben. Aber nun, auf dem Weg vom Flughafen nach Hause, kehrten meine Töpfe langsam in mein Bewusstsein zurück. Und in zunehmender intuitiver Unruhe fragte ich mich plötzlich, was mich wohl erwartete. Von außen besehen schien noch alles in Ordnung. Alles stand noch, erste Erleichterung. Die Küchenjalousie war unten, und daher klingelten wir vorsichtshalber. Als auch nach dem zweiten Läuten nichts zu hören war, schloss mein Mann auf. Im Erdgeschoss bot sich uns bereits ein subtiles Bild des Grauens: Drei Blumentöpfe waren vollkommen verwelkt, jedoch im Wasser stehend. Vier andere Töpfe, die Pflanzen auch hier ohne erkennbare Lebenszeichen, waren heillos übergossen, die Erde noch pitschnass. Lediglich die unverwüstlichen, zähen, überall in Deutschlands Blumenfenstern Stehenden hatten die 21 Tage einigermaßen überstanden. Das machte eine Überlebensquote von etwa zehn Prozent.
Mit meinem kriminalistischen Gespür kam mir, nachdem ich den Tatort komplett gesichtet hatte, die vermutlich richtige Schlussfolgerung: Hier wurde nur einmal gegossen – und zwar am Vortag unserer Ankunft. Zu verräterisch waren die frischen Wasserspuren.
Meine Tochter war bei unserer Ankunft trotz heruntergelassener Jalousie nicht zu Hause, sodass ich mich obendrein allein um die verblichene Flora kümmern musste. Die armen, unschuldigen Pflanzen – vor allem um die mit Hingabe gezogenen Setzlinge tat es mir Leid. Die ersten drei vollkommen verdorrten Opfer waren überhaupt nicht mehr zu retten, ich gab sie, Verwünschungen murmelnd, dem Kompost zur Wiedereingliederung in den Kreislauf der Natur anheim. Bei den anderen vier Pflanzen am Eingang im Erdgeschoss schüttete ich das überschüssige Wasser ab. Sie hatten sich derart voll gesogen, dass sie sich wohl nur auf wundersame Weise von diesem Schreck erholen würden.
Dann hastete ich, Böses ahnend, ins Obergeschoss. Gottlob grundlos: Im Badezimmer war alles reinster Sonnenschein, die Pflanzen lachten mich an, waren in meiner Abwesenheit sogar noch üppiger geworden. Mutters Trick. Und dazu viel Sonne, wie sie eben nur hier im Bad scheint. Ein kleines harmonisches Feuchtbiotop, das nichts vom Fiasko im Untergeschoss erahnen ließ.
Als meine Tochter abends vorbeikam, reichte ein einziger Blick von mir. Sie stammelte Entschuldigungen: „Ich war doch nicht so oft hier wie geplant, und immer wenn ich Sylvie anrufen wollte, war sie nicht da. Und das mit der Küchenjalousie ging irgendwie auch nicht, weil, wir wollten ja kommen und sind dann aber zum Schwimmen. Es war ja so heiß, Mama, 36 Grad.“ Und Mahlsdorf liegt am Ende der Welt – darauf wartete ich, aber ihr Lieblingsargument blieb aus. „Tja“, sagte ich, „den Blumen war bestimmt auch ganz ordentlich heiß. Sie hätten ebenfalls eine Abkühlung gebrauchen können – und zwar regelmäßig. Sie können sich nun mal nicht selber gießen. Oder zur Abkühlung mit ihren Freunden ins Schwimmbad fahren.“ Das war im vergangenen Sommer.
Nun, ein Jahr später, war ich gewappnet, das hatte ich mir geschworen. Aus rein praktischen Gründen und um ihr mein neuerliches Vertrauen auszusprechen, fragte ich als Erste meine Tochter, ob sie die Pflanzen gießt, während ich im Urlaub bin. „Ja, das mache ich, Mama, ich weiß ja jetzt Bescheid.“ Sie klang, als habe sie auf diese Frage zwölf Monate gewartet. Jetzt aber zückte ich meine Trumpfkarte: „Abgemacht. Aber ich habe die Pflanzen fotografiert, und du zahlst mir für jeden eingegangenen oder vernachlässigten Topf fünf Euro, wenn er den nächsten Monat nicht überlebt.“ Meine Tochter schaute etwas konsterniert, sagte dann aber zu. Mein Angebot war schließlich absolut fair.
Und siehe da, als wir vorgestern aus dem Urlaub zurückkehrten, war in meinen Töpfen blühendes Leben.
Übrigens: Im Februar hatte die nachbarschaftliche Anverwandte Sylvie meine Blumen versorgt, als wir für zwei Wochen auf Kuba waren. Und auch die Töpfe im ersten Stock hatten das überlebt, obwohl sie nicht in der Wanne standen. „Klar“, kommentierte das meine Tochter sofort, „hätte ich auch gekonnt. Da war es ja nicht so heiß, einmal gießen hat bestimmt gereicht.“
LISA SCHUSTER, 48, tazlerin der ersten Stunde, leitet derzeit die Honorarbuchhaltung der taz
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