: Alle für tot erklärt
■ Zyperntürkischer „Präsident“ gibt Massaker an 1.619 Zyperngriechen zu
Berlin/Nikosia (taz) – Ein Interview des zyperntürkischen Volksgruppenführers Rauf Denktaș hat auf der Insel für heftige Kontroversen gesorgt. Denktaș äußerte sich nämlich zu der sensiblen Frage des Verbleibs von 1.619 vermißten griechischen Zyprioten. In einem Gespräch mit der privaten Fernsehstation Sigma sagte Denktaș, „Präsident“ der international geächteten „Türkischen Republik Nordzypern“, alle Vermißten aus dem Krieg von 1974 seien tot.
„Als die türkische Armee eindrang und die zypriotischen Kämpfer gefangennahm, wurden diese leider unseren Kämpfern übergeben, unter denen es welche gab, die in diesen Tagen ihre Familien und ihre Dörfer verloren hatten. Massaker kamen vor“, so Denktaș. „Es passierte so. Anstatt sie der Polizei zu übergeben oder in Inhaftierungslager zu bringen, wurden sie getötet“, sagte der „Präsident“ offenherzig.
Ungewöhnlich ist die Erklärung auch deshalb, weil Denktaș sich damit selbst belastet: Er war nämlich selbst einer der Gründer der paramilitärischen Gruppe TMT, deren Kämpfern er nun die Verantwortung für den Tod der Vermißten gab. Kurz nach dem Interview erlitt Denktaș einen Herzinfarkt, befindet sich aber wieder auf dem Weg der Besserung. In der Republik Zypern hält man die Erklärung für gänzlich unakzeptabel. In einem Schreiben an den Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, fordert der Präsident des Abgeordnetenhauses in Nikosia, Alexis Galanos, eine umfassende Aufklärung über das Schicksal der Verschwundenen. Das Europäische Parlament in Straßburg schloß sich dem am vergangenen Mittwoch an: In einer Resolution verlangten die Abgeordneten einstimmig Aufklärung zu den Vermißten.
Tatsächlich läßt die eindeutige Erklärung Denktaș', seine eigenen Leute hätten die Vermißten auf dem Gewissen, einiges im Unklaren. Denn bei der türkischen Invasion Nordzyperns 1974 gelangten viele der Verschwundenen, darunter Frauen und Kinder, nachweislich in die Hände der türkischen Armee. So existieren Dokumente des Internationalen Roten Kreuzes, in denen gefangene griechische Zyprioten, die in provisorischen Lagern festgehalten wurden, mit Namen erfaßt sind. Auch diese Personen sind nie wieder aufgetaucht.
Bis dato hat die zyperntürkische Seite keine weiteren Angaben zu den Vermißten gemacht. In bilateralen Gesprächen wurde immer nur betont, diese seien verstorben. Besonders deren Angehörige wollen zumindest erfahren, wo ihre Verwandten begraben liegen. klh
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