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■ Alle Jahre wieder: Auf, auf zum österlichen Anbaden!Saisonstart am Elfenteich

Es ist Ostersonntag. Wie jedes Jahr um diese Zeit völlig anderes Wetter. Der Elfenteich liegt heuer ruhig, sogar vollständig aufgetaut. Bei geeignetem Licht erinnert er an eine riesige türkise Glasplatte. Seine Form spielt ins Dreieckige. Knappe 80 Meter lang, 60 Meter breit, vielleicht 4 Meter tief. Der offizielle Zufahrtsweg ist zugleich der Staudamm. Elfenteich ist natürlich, die Fachwelt weiß das, ein irreführender Begriff. Weiher müßte es lauten, denn das Naßbiotop war künstlich angelegt worden, von Flößern vor hundertnochwas Jahren. Auf dem Dammweg daher monstermäßige Eichen und Linden, die den Weiher die Hälfte des Tages vor der zudringlichen Sonne schützen. Die andere Hälfte ist mit mittelalterlichem Fichtengehölz umkränzelt. Fehlt eigentlich nur der röhrende Hirsch.

Doch es kommt viel schlimmer. Die frohe Osterbotschaft lautet: hier wird angebadet. Aber ja.

Eine nicht unerhebliche Teilpopulation praktiziert nackig angezogen etwas, das seine Ungeheuerlichkeit allein schon in der Abkürzung manifestiert: FKK. Freikörperkultur oder freie Körperkultur feiert heute seine Auferstehung.

Den Waldparkplatz Weidmannsruh erreicht man privat motorisiert, von da sind es noch 1.500 Meter, die man – aufgebläht vom Karfreitagsbraten – mit dem Klapprad bewältigen, zur Not auch laufen kann.

Mit einem Schlag ist die Ruhe von der Erde getilgt – der Schöns Andreas hat seine Panflötenkeyboards mitgebracht und unterhält die Badelustigen via Zweifingersuchsystem und 3 Beats pro Minute. Die Bälger werden angepflockt, die Claims für die Badeecken abgesteckt beziehungsweise mit dem Vorjahresareal abgeglichen. Schon geben die Partygriller erste Rauchzeichen davon, daß die auf Darmschläuche gezogenen Bakterienkulturen verspeist sein wollen. Neutrale Beobachter fragen sich eben entsetzt, ob die Bäume dagegen resistent sind, da haben die ersten Wagemutigen ihren Versandhausplunder abgeworfen und besteigen das eisige Osterwasser. Quieken, Jodeln und andere paarungsbegleitende Lautformungen werden reaktiviert. Mit Daumen und Zeigefinger gibt man scherzhaft die Wassertemperatur wieder. Spitzenwitz. Wird jedes Jahr aufs neue belacht. Von den Insidern. Denn die Elfenteichler sind gern unter sich.

Doch Vorsicht! An den von dieser volkreichen Sekte okkupierten Gestaden gelten strenge Hierarchien: Wenigstens ein markiger Platzhirsch vom Dienst (heute ist der Findeisen Kurt eingeteilt) tritt auf, der mit baumelndem Gemächt nicht akkreditierte Spanner verjagt. Drahtige SozialdemokratInnen (Margot, Lisa und Nicht-genau-verstanden) verwalten das Kaffeegeschirr, wechseln die Wischtücher aus, schauen auf Ordnung (Abfallbeutelchen aufhängen!), wie es Brauch und Sitte ist, und zählen mit, wer wen wie oft oder nicht gegrüßt hat.

Jährlich wird die Badeordnung novelliert.

Wie bei allem, wo der Spießer meint, es sei nicht spießig, kommen im FKK-Mikrokosmos ästhetisch äußerst fragwürdige Auffassungen zum Vorschein, vor allem was die realistische Einschätzung der eigenen Attraktivität anbelangt, aber wir schweifen ab. Von Elfen jedoch, das können Sie mir glauben, weit und breit keine Spur.

Die Tiere des umliegenden Waldes haben sich längst mit der Badeplage arrangiert. Sie stören die Zweibeiner nicht mehr beim Kacken im Gebüsch, fressen ihnen auch nicht mehr die Kinderwägen leer. Es will fast scheinen, daß der Mensch der Natur wieder ein Stückchen abgerungen hat. Wenigstens zu Zeiten der Badesaison. Und die endet erst um Allerheiligen. Dann können sich Fuchs und Hase endlich wieder ungestört gute Nacht sagen.

Michael Rudolf

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