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Alkohol und Sonnenschein

■ betr.: Die Magdeburger Aus schreitungen gegen Ausländer

Als Inder und möglicher Betroffener regt sich in mir die völlige Empörung über die Magdeburger Hetzjagd auf Ausländer, das „Versagen“ der Polizei und die peinlichen Reaktionen darauf seitens der Politik (Alkohol und Sonnenschein als Tatbegründung!).

Der Glaube an den Rechtsstaat und die wehrhafte Demokratie sind zutiefst erschüttert in mir. [...]

Welche Maßnahmen der Schulung beziehungsweise Auswahl müssen ergriffen werden, daß diejenigen Institutionen die für den Schutz der Bürger (auch der ausländischen Mitbürger) und der Bewahrung von Ordnung und Sicherheit bestimmt sind, nicht von Rechts unterwandert werden?

Oder ist es so, daß die dort herrschenden Strukturen nur einer rechten, autoritären Ideologie entsprechen können und müssen — ist dies also gewollt?

Wie sonst soll ich die Feststellung des Ausländerbeauftragten von Sachsen-Anhalt verstehen, wenn dieser sagt: „Generell ist es so, daß Ausländer betrunkene Deutsche fürchten müssen.“

Ist dies eine kritische Analyse? Wenn ja, was soll dagegen getan werden? Oder sind die Äußerungen des Ausländerbeauftragten unkritische Bestandsaufnahmen, die am Ende gar gewollt sind?

Ich möchte nicht so weit gehen zu unterstellen, daß dies gewollt beziehungsweise sanktioniert wird. Möchte jedoch im Vergleich hierzu die extrem verschiedenen Reaktionen seitens des Staates bzw. der Polizei bemerken, die stattfinden, wenn buntgekleidete Punks oder Haschischkonsumenten (siehe Darmstadt) eine gewaltfreie Veranstaltung abhalten (wollen). Wie soll ich diese unterschiedliche Wertegewichtung verstehen?

Auch stellt sich mir die Frage nach der wechselseitigen Bedingtheit von diesen rechten Schlägern einerseits und der politischen Realität hierzulande, heutzutage andererseits.

Geistige Brandstifter sind nicht nur Schönhuber und Co., sondern auch diejenigen (etablierten Parteien), die die „Überfremdung“ zum Wahlkampfthema machen, die auf die vermeintliche Zunahme der Kriminalisierung hierzulande mit dem „großen Lauschangriff“ reagieren wollen. Geistige Brandstifter sind für mich auch diejenigen, die den sogenannten „Asylmißbrauch“ für Wahlkampfzwecke benutzen, ebenso wie diejenigen Medien, die auf ihren Titelseiten die Gefahr vor der „Asylantenflut“ etc. propagieren!

Geistige Brandstiftung kann auch sein, wenn Ausländer hetzende Hooligans, ohne zwingende Notwendigkeit und ohne Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft am nächsten Tag wieder auf freien Fuß gesetzt werden.

Abschließend stellt sich mir noch die Frage, ob das „Ansehen der BRD im Ausland“ wichtiger ist als das Leben der hier lebenden Ausländer oder ob „Alkohol und Sonnenschein“ auch die letzten menschlichen Tabus zu brechen berechtigen?

Mir als Ausländer machen solche Entwicklungen — die sich wechselseitig bedingen — Angst, und ich hoffe, daß die Bürgerinnen und Bürger als auch die Politiker im Wahlkampfjahr 1994 diese Entwicklungen kritisch beobachten und ihre Stimme nach eben solchen Kriterien vergeben. Name d. Redaktion bekannt

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