Alina Schwermer Nur Öppis chliises*: Parallelwelten des Frauseins
Ich bin im Zug in Richtung EM der Frauen unterwegs und höre einer Sitznachbarin zu, wie sie übers Frausein redet. Am Telefon erzählt sie Wem-auch-immer, wie ihr Vater und Bruder sich ständig in ihre Dates einmischen. Dieser sei nichts für sie und jenen dürfe sie nicht sehen. Ihr Migrationshintergrund ist mexikanisch-marokkanisch. Da habe sie ihren Vater gefragt, dürfe sie einen mexikanischen Mann haben? Nein. Und einen marokkanischen? Nein. Gegen Südamerikaner, Afrikaner, Asiaten ist der Vater kategorisch. „Habe ich alle Nationen durchgefragt. Weißt du, was er will? Einen Schweizer. Nur Schweizer.“ Pause. „Warum? Ja, wegen Geld und so halt.“ Sie werden wieder viel reden bei der EM über Empowerment und Gleichberechtigung und Dinge, die aufwärts gehen. Aber es gibt eine Menge paralleler Realitäten, in denen Dinge sich nicht ändern. Ich fahre durch den Süden Deutschlands und höre mir eine ganze Weile diese Lektion über Gender, Rassismus und Klasse an. Irgendwann steigt sie aus, ich sehe sie nie, sie saß hinter mir. Ein Hörbuch nur.
Ich gehe in den Speisewagen, komme dort mit einem Typen ins Gespräch. Er ist einer aus meiner Welt. Aus der Welt der Jobs mit Sinn, der Menüs im Speisewagen und der selbstkritischen Männlichkeit. Wir reden auch über die EM, und das ist wirklich ein Fortschritt: dass man jetzt mit wildfremden Menschen Smalltalk dazu hält. Diese Menschen haben Spiele gesehen und man diskutiert ganz normal über Favoriten und so, und alle lieben Spanien. Später wird mir mit einer Nachbarin, die was mit Pharma macht, in der Unterkunft in Basel ein ähnlich normales EM-Gespräch passieren.
Früher waren Turniere der Frauen Nerd-Games, bei denen sich nur Eingeweihte auskannten. Und Mitbewohner:innen überrascht waren: Ah, es ist Turnier? Das hat sich grundlegend geändert. Zumindest in den Kreisen, die sich eine Unterkunft in Basel leisten und wo man sich gern auf Seiten des Fortschritts wähnt. Was die anderen machen, mit denen wir kaum je sprechen, weiß ich nicht. Jemand sollte mal eine EM-TV-Analyse nach sozialer Klasse machen. Dass diese Euro ein Bildungsbürger:innen-Vergnügen sein könnte, würde ich nicht ausschließen.
In der Wohnküche der Baseler Unterkunft sind auch zwei Volunteers aus Argentinien. Sie machen Weltreise und so, und sie finden supercool, wie groß die EM hier ist. Sie waren beim Public Viewing und konnten nicht glauben, dass die Leute das abfeiern wie ein Männerspiel. In Argentinien interessiere Frauenfußball keine Sau. Ich sage, dass es in Europa auch noch nicht lang so ist – halb, damit sie sich nicht so hinterwäldlerisch fühlen und halb, um mich zu erinnern, was man tatsächlich jüngst erkämpft hat. Es fühlt sich anders an heute.
Die Zugnachbarin übrigens fuhr nicht bis in die Schweiz. Ihr doch egal, was ihr Vater sage. Sie war unterwegs in die USA, mit gemischten Gefühlen. „Die USA sagen: Mexikaner raus. Die Deutschen sagen: Marokkaner raus. Überall scheiße für mich.“ *Nur etwas Kleines
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