Aleviten-Sprecher Toprak attackiert ARD: "Es geht um den Inzest"
Nach einer Anzeige wegen Volksverhetzung gegen die ARD präzisiert der Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde, Toprak, im taz-Interview seine Kritik am "Tatort" - und fordert Konsequenzen.
taz: Herr Toprak, am Sonntagabend wurde in der ARD der Tatort "Wem Ehre gebührt" gezeigt. Dabei ging es um Inzest in einer alevitischen Familie. Ihre Gemeinde hat deswegen eine Anzeige wegen Volksverhetzung gestellt. Woher diese ganze Aufregung?
Ali Ertan Toprak: Uns Aleviten ist diese Situation sehr unangenehm, wir möchten nicht in solch einem Zusammenhang in der Öffentlichkeit stehen. Wir behaupten überhaupt nicht, die besseren Menschen zu sein. Aber mit diesem Tatort werden Vorurteile aus der Türkei bedient, mit denen die Aleviten seit Jahrhunderten zu kämpfen haben.
Was sind das für Vorurteile?
Da die Aleviten früher in den dörflichen Strukturen gemeinsam ihre Glaubensrituale ausübten, also Mann und Frau im gleichen Raum, wird ihnen von fundamentalistischen Muslimen vorgeworfen, Inzest mit ihren Töchtern und Schwestern zu betreiben. Diese Anschuldigungen sind bis zur jetzigen Zeit, auch in Deutschland, in dem fundamentalistisch sunnitischen Glauben fest verankert.
Aber gehören solche Sendungen nicht zu der Kunst, Meinungs und Pressefreiheit in Deutschland?
Die Aleviten respektieren die Presse- und Meinungsfreiheit und sind gegen Verbote jeder kultureller Art. Aber diese Werte dürfen trotzdem nicht die Würde einer Minderheit verletzen.
Krimis handeln nun mal von Gewalt und Verbrechen. Und warum sollte ihre Glaubensrichtung davon ausgenommen werden?
Es geht nicht darum, dass Aleviten als Kriminelle gezeigt werden. Man hätte im Film auch einen Aleviten als Massenmörder darstellen können, kein Problem! Es geht um den Inzest, der gezeigt wurde. Seit Jahrhunderten kämpfen wir gegen diesen Vorwurf.
Vor dem Film wurde eingeblendet, dass die Geschichte fiktiv sei. Ist das nicht ausreichend?
Nein, weil es unnötig ist, dass die Religionszugehörigkeit immer wieder erwähnt wurde. Warum hätte es nicht einfach eine normal muslimische Familie sein können? Warum werden Aleviten im öffentlich-rechtlichem Fernsehen mit dem Inzestvorwurf in Verbindung gebracht? Wenn der Alevit nur als Bankräuber hingestellt worden wäre, wäre alles in Ordnung.
Aleviten gelten als besonders liberal und friedlich innerhalb der islamischen Gemeinde. Die Regisseurin wollte zeigen, dass es auch in liberalen, muslimischen Familien gewaltätige Auseinandersetzungen geben kann.
Aber warum muss es unbedingt der Vergewaltigungsvorwurf sein? Noch in der jüngeren Vergangenheit wurde von strengen Muslimen dieser Vorwurf genutzt, um Pogrome gegen uns zu veranstalten.
Es handelt sich hier um uralte, historische Fehden die noch dazu zu einem fremdem Kulturkreis gehören. Ist es nicht zuviel verlangt, dass die Regisseurin sich damit auskennen soll?
Natürlich kann nicht jeder Zuschauer diese Hintergründe kennen. Aber die Filmemacher hätten hier sauberer recherchieren müssen. Wenn sich jemand mit dem Konflikt zwischen Sunniten und Aleviten beschäftigt, kennt er auch den Inzestvorwurf. Auch der unpolitischste Türke kennt diese Theorie. Die Regisseurin hat diese Problematik bewusst in Kauf genommen.
Mit ihrem Protest kommen Sie Kritikern entgegen, die behaupten, Muslime seien sehr schnell beleidigt.
Daher reagieren wir besonnen und friedlich. Wir möchten nicht, wie in vielen Medien berichtet, mit der islamischen Bewegung in Verbindung gebracht werden. Derzeit erinnert es eventuell einige Deutsche an die Mohammed-Karikaturen und ihre drastischen Folgen. Aber von solchen Ausschreitungen haben wir uns immer distanziert. Es ist aber auch unser gutes Recht, unsere Meinung öffentlich zu äußern.
Was fordern Sie von dem NDR?
Wir möchten lediglich ein Aufarbeiten dieses Vorfalles erzielen und des weiteren bewirken, dass Personen, die dafür verantwortlich sind, zur Verantwortung gezogen werden.
INTERVIEW: CIGDEM AKYOL
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