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Aleviten-Sprecher Toprak attackiert ARD"Es geht um den Inzest"

Nach einer Anzeige wegen Volksverhetzung gegen die ARD präzisiert der Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde, Toprak, im taz-Interview seine Kritik am "Tatort" - und fordert Konsequenzen.

"Sauberer recherchieren": Maria Furtwängler und Aylin Tezel in umstrittenem "Tatort" Bild: dpa

taz: Herr Toprak, am Sonntagabend wurde in der ARD der Tatort "Wem Ehre gebührt" gezeigt. Dabei ging es um Inzest in einer alevitischen Familie. Ihre Gemeinde hat deswegen eine Anzeige wegen Volksverhetzung gestellt. Woher diese ganze Aufregung?

Ali Ertan Toprak: Uns Aleviten ist diese Situation sehr unangenehm, wir möchten nicht in solch einem Zusammenhang in der Öffentlichkeit stehen. Wir behaupten überhaupt nicht, die besseren Menschen zu sein. Aber mit diesem Tatort werden Vorurteile aus der Türkei bedient, mit denen die Aleviten seit Jahrhunderten zu kämpfen haben.

Was sind das für Vorurteile?

Da die Aleviten früher in den dörflichen Strukturen gemeinsam ihre Glaubensrituale ausübten, also Mann und Frau im gleichen Raum, wird ihnen von fundamentalistischen Muslimen vorgeworfen, Inzest mit ihren Töchtern und Schwestern zu betreiben. Diese Anschuldigungen sind bis zur jetzigen Zeit, auch in Deutschland, in dem fundamentalistisch sunnitischen Glauben fest verankert.

Aber gehören solche Sendungen nicht zu der Kunst, Meinungs und Pressefreiheit in Deutschland?

Die Aleviten respektieren die Presse- und Meinungsfreiheit und sind gegen Verbote jeder kultureller Art. Aber diese Werte dürfen trotzdem nicht die Würde einer Minderheit verletzen.

Krimis handeln nun mal von Gewalt und Verbrechen. Und warum sollte ihre Glaubensrichtung davon ausgenommen werden?

Es geht nicht darum, dass Aleviten als Kriminelle gezeigt werden. Man hätte im Film auch einen Aleviten als Massenmörder darstellen können, kein Problem! Es geht um den Inzest, der gezeigt wurde. Seit Jahrhunderten kämpfen wir gegen diesen Vorwurf.

Vor dem Film wurde eingeblendet, dass die Geschichte fiktiv sei. Ist das nicht ausreichend?

Nein, weil es unnötig ist, dass die Religionszugehörigkeit immer wieder erwähnt wurde. Warum hätte es nicht einfach eine normal muslimische Familie sein können? Warum werden Aleviten im öffentlich-rechtlichem Fernsehen mit dem Inzestvorwurf in Verbindung gebracht? Wenn der Alevit nur als Bankräuber hingestellt worden wäre, wäre alles in Ordnung.

Aleviten gelten als besonders liberal und friedlich innerhalb der islamischen Gemeinde. Die Regisseurin wollte zeigen, dass es auch in liberalen, muslimischen Familien gewaltätige Auseinandersetzungen geben kann.

Aber warum muss es unbedingt der Vergewaltigungsvorwurf sein? Noch in der jüngeren Vergangenheit wurde von strengen Muslimen dieser Vorwurf genutzt, um Pogrome gegen uns zu veranstalten.

Es handelt sich hier um uralte, historische Fehden die noch dazu zu einem fremdem Kulturkreis gehören. Ist es nicht zuviel verlangt, dass die Regisseurin sich damit auskennen soll?

Natürlich kann nicht jeder Zuschauer diese Hintergründe kennen. Aber die Filmemacher hätten hier sauberer recherchieren müssen. Wenn sich jemand mit dem Konflikt zwischen Sunniten und Aleviten beschäftigt, kennt er auch den Inzestvorwurf. Auch der unpolitischste Türke kennt diese Theorie. Die Regisseurin hat diese Problematik bewusst in Kauf genommen.

Mit ihrem Protest kommen Sie Kritikern entgegen, die behaupten, Muslime seien sehr schnell beleidigt.

Daher reagieren wir besonnen und friedlich. Wir möchten nicht, wie in vielen Medien berichtet, mit der islamischen Bewegung in Verbindung gebracht werden. Derzeit erinnert es eventuell einige Deutsche an die Mohammed-Karikaturen und ihre drastischen Folgen. Aber von solchen Ausschreitungen haben wir uns immer distanziert. Es ist aber auch unser gutes Recht, unsere Meinung öffentlich zu äußern.

Was fordern Sie von dem NDR?

Wir möchten lediglich ein Aufarbeiten dieses Vorfalles erzielen und des weiteren bewirken, dass Personen, die dafür verantwortlich sind, zur Verantwortung gezogen werden.

INTERVIEW: CIGDEM AKYOL

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9 Kommentare

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  • AW
    Atan Wemöller

    Ich finde es ebenfalls gut, dass die Aleviten hier protestieren, denn solches Aufkochen alter Vorurteile und Fehden ist nur durch völliges Desinteresse und Wurstigkeit beim Recherchieren zu erklären. Es ärgert auch jeden Menschen, der sich für einen anderen Kulturkreis interessiert und ist für einen Krimi völlig unnötig, da man hier jederzeit irgendeine fiktive Gruppe oder Sekte einführen könnte, ohne der Story zu schaden.

    Vielleicht beglückt uns das Fernsehen demnächst ja mal mit der spannenden Story über eine jüdische Räuberbande, die sich auf die Entführung reicher Christenkinder spezialisiert hat? Oder auf die Plünderung von Kirchenschätzen und Monstranzen?

    Bloß kann man dann nachher so schlecht behaupten, dass man "noch nie von irgendwelchen historischen Vorurteilen und Diskriminierungen" gegenüber dieser Gruppe gehört hat.

  • H
    hotdog

    Alevit, Sunnit, gemässigt oder radikal;

    Ich erkenne hier nur den Versuch, bestimmend und reglementierend ins nichtmuslimische Kulturgeschehen

    in Deutschland einzugreifen.

    Und ich fordere mehr Wachsamkeit gegenüber Intoleranz, sonst müssen wir irgendwann Alle

    gen Mekka beten!

  • HM
    Heiko Mayr

    Die Kritik von Alevistischer Gemeinde Deutschland ist nachvollziehbar und berechtigt.

     

    Für uns Deutsche ist es auf dem ersten Blick zu schwer das alles zu verstehen.

     

    Mittlerweile ist es bekannt, dass Aleviten mit Demokratie, Menschenrchte, Frauenrechte kein Problem haben. Ihre Kritik hat auch mit dem Karrikaturenstreit nichts zu tun.

     

     

    lg + guten Rutsch für Alle

    Heiko M.

  • AK
    Atila Kar

    seit jahren versuchen aleviten die diffamierungen aus der sunnitisch-fundamentalische ecke zubeseitigen.

    in den 60 iger jahren wurden sie auch als "gottlose kommunisten" beschimpft, weil in einer alevitische gemeinde frauen, männer und kinder zusammenbeten. also wie in der kirche.

     

    im jahre 1993 wurden in stadt sivas 37 alevitische intellektuelle, joournalisten, studierende und schriftsteller in einem hotel lebendig verbrannt -und der staat mit seiner sicherheitskräfte sah zu- weil die sunnitische fundamentalisten daran glauben "wenn man 7 aleviten tötet, kommt man ohne vom gott befragt zuwerden ins paradies".

     

    oft werden sie auch als "juden" beschimpft.

     

    ich frage mich ganze zeit, warum man so ein film macht oder ausstrahlt. entweder um sich mit den fundamentalisten zusolidarisieren oder einfach eine sensation zuhaben. oder beides.

     

    ja dann wünsche ich ihnen und herrn schäuble viel spass.

     

    wer integriert wen ? wer bastelt seine bombe und wer macht daraus sein film ?

  • MS
    Mustafa Sen

    Seit dieses Thema aufgekommen ist gibt es fast einheitlich die gleiche Reaktion von deutschen Lesern. Sie haben es satt, dass die hier lebenden Muslime sich wieder mal beleidigt fühlen. Ich frage mich was wäre, wenn man eine Serie über Juden drehen würde, in der solche oder ähnliche Vorurteile verfilmt würden. Das wäre natürlich etwas ganz anderes. Dann würden die Beiträge deutlich anders ausfallen, da bin ich mir sehr sicher. Oder z.B., das Vorurteil vieler Juden und anderer Ausländer, dass in jedem Deutschen eigentlich ein Nazi steckt...das wäre doch sehr empfindlich, oder? Ich glaube erst dann, wenn dies mal geschieht fangen unsere tolleranten "Gastgeber" an zu begreifen, dass alles seine Grenzen hat!!

  • ZG
    özge gencoglu

    ich bin der selben meinung von herrn toprak.

    er hat völlig recht. ard soll sich nicht in schutz nehmen WIR sind nicht beleidigt doch wäre dies mit der nation der regisseurin geschehen hätte sie auch diesen aufstand gemacht. WAS SOLLTE DIESER FILM BLOß ZEIGEN. die regisseurin sollte sich erst einmal über manche dinge informieren und danach ein film drehen natürlich nur wenn sie dazu überhaupt fähig ist einen film zu drehen. wie man sieht nicht.

  • AZ
    Andreas Zimmermann

    Die aufgeregte Reaktion kann ich nicht verstehen. Wer diesen Film gesehen hat, der kommt nicht im Geringsten auf die Idee, dass eine politische oder religiöse Gruppe sich zu einer bestimmten strafbaren Handlung aus Überzeugung hinreißen lässt. Der gesamte Handlungsablauf ist auf eine individuelle Tat aufgebaut und wird nur durch eine konkrete familiäre Situation untermauert. Der Protest der AABF, der sich auf eine vermeintliche Diffamierung gründet, ist haltlos und sogar gefährlich.

    Denn er zielt darauf, dass bestimmte Personengruppen oder politische und religiöse Gemeinschaften nicht mehr mit konkreten Sachverhalten (wie hier einer Straftat) in Verbindung gebracht werden dürfen, da man immer von einer Verallgemeinerung ausgehen muss.

    Auf welchen Irrsinn bewegen wir uns zu, wenn dieser Protest gehör findet?

    Selbstzensur ist da noch das geringste Übel. Die Formulierung ....mit allen friedlichen Mitteln.... der AABF ist bereits eine konkrete Bedrohung, bei der man in einer Demokratie hellhörig werden muss.

    Ich kann nur bitten ? Ruhe bewahren und nüchtern überlegen, was wie gemeint worden war. Die Gleichberechtigung als Grundrecht einzufordern bedeutet, dass man sie im Guten wie im Bösen akzeptiert. In erster Linie sind wir alle Menschen ? Menschen mit guten und schlechten Seiten. Im Verlauf einer Woche werden im deutschen Fernsehen bestimmt 20 Kriminalfälle ausgestrahlt, bei dem in 90 % der Fälle jemand getötet wird.

    Doch niemand ist bisher auf die Idee gekommen, davon abzuleiten, dass alle deutschen Männer potentielle Totschläger oder Mörder sind. Das war nur ein Tatort-Film, der in einer Familie in Deutschland angesiedelt war ? nicht mehr und nicht weniger.

  • P
    parlatan

    Das finde ich auch ziemlich schlecht recherchiert von den Regiseuren. Das zeigt eigentlich wieder einmal mit welchen Augen Minderheiten mit einem Migrationshintergrund aus orientalischen Ländern wahrgenommen werden. Nämlich immer nur von oben und nie auf gleicher Höhe. Deutsche fühlen sich instinktiv als die höhere Rasse. Auch wenn viele das für sich selbst in der öffentlichkeit verneinen spüre ich einen kollektiven parteiübergreifende ausländerfeindliche Haltung.

     

    Sie denken: "unser Erfolg und Wohlstand gibt uns auch das Recht über Menschen einer zurückgebliebenen Kultur zu urteilen, weil sie damit anscheinend nicht so erfolgreich sind."

     

    so oder so ähnlich in schwächerer oder radikalerer Form begegne ich den Deutschen in den Medien, in der Berufswelt und in meinem Altag.

     

    Die Deutschen sind immer noch, egal wie aufgeklärt sie sind, sehr in ihrem Provinzialismus behaftet. Ich würde sagen, dass von den meisten noch nicht einmal mental registriert wird, dass sie Europäer sind.

     

    Wenn es ihnen nach ginge, würden sie lieber unter sich sein in ihren Höhlen.

     

    Sie hegen eigentlich nicht eine von Grund auf feindselige Haltung, nur akzeptieren sie niemanden als auch Deutsch bzw. Ebenbürtig, auch wenn er schon seit jahrzehnten unter ihnen lebt.

     

    Daher vergeben sie lieber Jobs vorrangig an einheimische, auch wenn der "Ausländer" gar keiner ist. Es reicht, wenn er so aussieht.

  • AO
    Ali Onur Firat

    Kommentar zur "mangelnden Recherche" von Frau Maccarone:

     

    In einer anderen Tageszeitung wurde Frau Maccarone interviewt: Maccarone sagte, dieser Inzest-Vorwurf sei ihr neu gewesen. Sie habe im Vorfeld sehr ausführlich recherchiert. "Ich bin nicht auf dieses Vorurteil gestoßen und habe das dann für mich benutzt".

     

    Meine Meinung dazu:

    Interessante Recherche! In fast jedem Buch über das Alevitentum steht etwas über die Inzest-Lügen drin. (sogar bis in englischsprachige Wörterbücher haben es die Inzest-Lügen gebracht...)

    Sie (Frau Maccarone) bzw. Leute vom NDR waren ja vorher beim Alevitschen Kulturverein in Hamburg, um sich über alevtische Beerdigungen zu informieren. Dann hätten sie auch gleich ein paar Fragen mehr stellen sollen, dann wäre bestimmt auch etwas über die Inzest-Lügen gefallen.

     

     

    Zu der Aufregung, warum denn die Aleviten wegen einem fiktiven Film beleidigt sind etc.:

     

    Nicht so vergesslich sein liebe Leute, beim fiktiven Film "Tal der Wölfe im Irak" waren berechtigter Weise auch viele Menschen in Deutschland (auch ohne Migrationshintergrund) für ein Verbot des Films! Da wurde auch abgewogen und entschied sich am Ende gegen die Kunst, Meinungs und Pressefreiheit!