piwik no script img

Aleviten-Demo gegen ARD"Tatort" unter Verdacht

In Berlin haben Aleviten gegen die ARD protestiert. Doch anders als beim Karikaturenstreit geht es nicht um religiöse Gefühle.

Mit dem Grundgesetz gegen die ARD: Demonstranten in Berlin Bild: dpa

Rund tausend Menschen haben sich vor dem ARD-Hauptstadtstudio in Berlin versammelt, das zwischen dem Reichstag und dem Boulevard Unter den Linden liegt. Die Menge ist türkischer Herkunft, aber bunt gemischt. Es sind alevitische Demonstranten, die gegen die jüngste "Tatort"-Folge protestieren, die am Sonntag ausgestrahlt wurde.

A WIE ALEVITEN

Nach unterschiedlichen Schätzungen sind zwischen 15 und 25 Prozent der Bevölkerung der Türkei alevitisch. Aleviten finden sich gleichermaßen unter Türken und Kurden. Obwohl sie sich auf den Kalifen Ali berufen, sind die Aleviten nicht den Schiiten zuzurechnen. Vielmehr handelt es sich um eine synkretistische Religionsgemeinschaft, in deren Mittelpunkt der Mensch steht. Die Aleviten sind dezentral organisiert. In der Türkei waren sie immer wieder Gewalt ausgesetzt; noch heute müssen auch alevitische Schüler den sunnitischen Religionsunterricht besuchen. Traditionell sind viele Aleviten linksorientiert.

Immer, wenn der Name der Regisseurin Angelina Maccarone fällt, gibt es Pfiffe und Buhrufe. Weiter hinten stehen ältere Menschen, deren grimmige Gesichter zeigen, dass es ihnen sehr ernst ist. Die Jüngeren, die mit ihren Fotohandys Bilder schießen, sind mit etwas mehr Spaß bei der Sache. Auf Plakaten fordern sie in türkischer und deutscher Sprache eine Entschuldigung von der ARD. Manche tragen in einer Klarsichtfolie den ersten Artikel des Grundgesetzes mit sich: "Die Würde des Menschen ist unantastbar".

Auf den ersten Blick erinnert die Szene an den sogenannten Karikaturenstreit. Anfang des Jahres 2006 gingen Muslime in aller Welt auf die Straße, um gegen die Mohammed-Karikaturen zu protestieren, die zunächst in der dänischen Zeitung Jyllands Posten erschienen waren. Auch in deutschen Städten kam es damals zu kleineren, völlig friedlichen Demonstrationen. Und auch damals forderten viele eine "Entschuldigung" - von der Zeitung oder gar vom dänischen Ministerpräsidenten.

Der Alevitischen Gemeinde geht es allerdings um etwas ganz anderes als um "religiöse Gefühle", die angeblich verletzt worden sein sollen. Ihr geht es darum, dass sie sich gegen ein negatives Stereotyp wehrt, das ihr seit Jahrhunderten anhängt. Insofern erinnert ihre Demonstration eher an die Proteste der Jüdischen Gemeinde gegen Rainer Werner Fassbinders Theaterstück "Die Stadt, der Müll und der Tod", das 1985 in Frankfurt am Main aufgeführt werden sollte, und das unter anderem von einem jüdischen Immobilienspekulanten handelt, der eine Prostituierte umbringt.

Der umstrittene NDR-Krimi "Wem Ehre gebührt" handelt von einem Fall sexuellen Missbrauch in einer alevitischen Familie. Das ist insofern heikel, als ausgerechnet dieser religiös eher liberalen Minderheit jahrhundertelang von streng orthodoxen Muslimen nachgesagt wird, in ihren Reihen würde Inzest herrschen. Es ist eine üble Nachrede - vergleichbar mit der Mär vom Ritualmord an christlichen Kindern, der Juden einst zum Vorwurf gemacht wurde.

Den meisten Deutschen dürften solche Vorurteile völlig fremd sein, falls sie überhaupt je von der religiösen Minderheit der Aleviten gehört haben. Trotzdem fürchtet Sinan Vurgun, 27, Vorsitzender des Jugendvereins des Berliner "Kulturzentrums anatolischer Aleviten", diese "Tatort"-Folge könne bestehende "Vorurteile und Klischees bedienen" - zumindest unter türkischstämmigen Zuschauern.

Mitarbeit: Tobias Goltz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • S
    saltik

    Eine Abscheulichkeit, die nicht mehr steigerbar ist. Der Tatort "Wem Ehre gebührt" ist entweder sehr naiv produziert worden oder unter Einfluss von faschistischen Islamisten. Genau am 29.Jahrestages der "Marasprogrogrome" wird ein Tatort ausgestrahlt. In Maras wurden hunderte unschuldige Aleviten von einem islamischen Mob massakriert. Kinder, Schwangere Frauen, alte Menschen wurden bestialisch umgebracht. Nach dem Freitaggebet stürmt ein Mob der aus der Moschee, die Vorurteile über die Aleviten- "Sie betreiben doch nur Inzest", hat schon längst der Imam der Horde eingebrannt. 29 Jahre sind vergangen, was möchte nun Frau Maccarone uns mit Ihrem Tatort mitteilen.

  • MB
    Mustafa Basun

    Es geht hier um mehr als religiöse Gefühle. Schon seit mehreren hundert Jahren wird den Aleviten von sunnitischer Seite Inzest vorgeworfen, begleitet von massiver Unterdrückung bis hin zu brutalen Morden an Frauen, Kindern und Männern. Auf Grund diesem wiederlichen Vorurteil erfahren Aleviten bis heute noch keine Religionsfreiheit, vor allem in der Türkei. Unerträglicher ist, dass ihre Glaubensgemeinschaft nicht einmal anerkannt wird.

    In diesem Zusammenhang erwartet ARD,dass man doch gelassen reagieren und dies nicht zu persönlich nehmen solle. Wissentlich oder auch Unwissentlich sticht ARD in eine noch stark blutende Wunde der Aleviten und verlangt Gelassenheit und Nachsichtigkeit. Das staatliche Fernsehen hat hier einen Brokenfehler begangen der schleunigst korrigiert werden muss, zumal Aleviten den NDR vor Ausstrahlung des Krimis gebeten hatten diesen so nicht abzuspielen. Nun sagt ARD, dass sie sich in ihrer Pressefreiheit beschränkt sehe. Nur scheint die ARD nicht zu sehen, dass ihre Pressefreiheit im Inhalt des Krimi´s auf unwahren Tatsachen beruht. Pressefreiheit bedeutet nicht alles mögliche unbeschränkt und ohne zielgerichtete Hintergrundinformationen über das Ausgestrahlte austrahlen zu dürfen. Gerade dort, wo die Pressefreiheit andere wichtigere Grundrechte wie die Religionsfreiheit in Art. 4 GG einschränkt bzw. verletzt, ist die Pressefreiheit restriktiv nachrangig. In diesem Zusammenhang hat die ARD grob fahrlässig keine zielgerichteten Hintergrundinformationen über den stark religiös diskriminierenden Inhalt des Krimis selbst in Betracht genommen. Noch grob grob fahrlässiger ist es, dass sie nicht mal die ernsten Hinweisen der Aleviten vor der Austrahlung des Krimis wahrgenommen bzw. in Erwägung gezogen hat. So was ist inakkzeptabel und soll und darf nicht hingenommen werden. Eine sich mit der Thematik wirklich auseinandergesetzten Stellungnahme der ARD ist Pflicht. Eine Korrektur des Fehlers ist nach dem ausgetrahlten Krimi nicht mehr ohne weiteres möglich, weil sich die vorurteilsgeprägten Menschen in ihrem Vorurteil durch den Krimi bestätigt sehen und kaum von der wirklichen Wahrheit zu überzeugen sind. Zusätzlich wurde bei etlichen anderen Menschen, die den Krimi gesehen haben, ein Vorurteilsgedanke geweckt, womit sich die Aleviten nunmehr gegen weitere vorurteilsgeprägten Menschen wehren muss.

  • E
    Ecevit

    Ich finde den Artikel völlig verfehlt.

    Statt das Problem in der medialen deutschen "Kultur" zu erkennen, wird das Problem als ein zwischen (in diesem Fall dummen) Filmemachern und einer Religionsgruppe diskutiert.

     

     

    Doch wen interessierts.

     

     

    Na dann hätten wir ja alles geklärt und ihr könnt zu Hause demonstrieren.

    Der Artikel liest sich wie Bild dir eine Meinung.

    Da es aber die taz ist, werden hier braune Gedanken zu linken Preisen verkauft.

     

    Anders als Fassbinder, hat sich die Regiseurin keine Gedanken über das Problem gemacht, da sie von dem sog. negativen Stereotyp nichts wusste und somit anders als Fassbinder kein Probelembewusstsein hatte.

     

    Anders als Fassbinder bedient das Fernsehen eine grössere und näher bestimmbare Population, die regelmässig Eduard Zimmermann schaut.

     

    Anders als um Theater oder eine Zeitschrift geht es hier um einen Film, bei dem ein Ali, eine Ayse mit Kopftuch, eine ekelhafte Story genügt und fertig ist ein Film, der von Vorurteilen nur so trieft.

    Wann lief der letzte Tatort, in dem ein Deutscher Familienvater sein Kind Kain vergewaltigte und den Bruder Abel erschoss? In den letzten 30 Jahren hat sich auch Tatort verändert. Schimanski ist Tot, und wenn nicht, gehört er erschlagen. So was nennt man den Wandel der Zeit. Die Intendanten erschlagen tagtäglich Schimanskis, streichen Stellen und präsentieren uns eine Regiseurin, die die Andersartigkeit ihrer Protagonisten in den Klischees bewusst bedient hat. Ansonsten hätte sie sich über die mögliche Vielfalt der Andersartigkeit mehr Gedanken bereitet. Das ist das perverse an dieser Polemik.

     

    Es stinkt, dass das Deutsche Fernsehen von heute solche Stereotypen tagtäglich bedient und dann auch noch im Namen der Rundfunkfreiheit so ein Schwachsinnsfilm als Naturrechtsikone dient.

  • IN
    Ihr Name Katrin Swoboda

    Ihren Kommentar hier eingeben: Eure Artikel zu diesem Tatort und den Aleviten sind, inklusive des heutigen Kommentars, sehr gut. Mir fehlt allerdings eine filmkritische Bemerkung zu diesem Tatort: der war einfach langweilig, schlecht, unglaubwürdig von Anfang bis Ende!

    Bin nur ich dieser Meinung?

    Gruß

    Katrin Swoboda

  • A
    ali

    kennen sie das wort Familie überhaubt

    wen JA wüssten sie das aleviten sich in der familie respektieren und zusammen halten

    keiner der aleviten würde seine tochter so behandeln wie sie es in ihrem film zeigen

     

    ich denke mir mal das sie keine familie haben den sonst würden sie nicht so einen falschen film drehen

  • Y
    yilmaz

    die regisseurin soll sich nicht in schutz nehmen das war kein krimi sondern ein märchen falsche infos falscher film wie ungebildet kann man sein

  • FS
    Florian Suittenpointner

    Ich halte es für völlig unglaubwürdig, wenn Frau Maccarone behauptet, sie hätte nichts gewusst. Sie hätte einfach mal mit irgendwelchen Aleviten reden können, dann wäre das nach fünf Minuten klar gewesen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass sie auf jemanden reingefallen ist, der hier der Diskriminierung Vorschub leisten wollte.

     

    Die taz finde ich übrigens auffällig beschwichtigend in diesem Fall, wenn man bedenkt, wie sie sich sonst gegen Diskriminierung aus dem Fenster lehnt.

  • G
    gencoglu

    unser protest am sonntag an der domplatte wird schon vieles zeigen. wer steckt dahinter.

     

    das in der türkei 3 christen dazu noch ein deutscher dabei getötet worden war unwahr von den sunniten waren wir aleviten umsonst auf den straßen und haben demonstriert alles umsonst.

    das ergebniss steht fest sunniten wurden beforzugt mit hilfe sunniten habt ihr uns so ekelhaft, wiederlich beschuldigt

  • G
    gencoglu

    das über aleviten ARD so einen grauenvollen film gezeigt das nicht der wahrheit übereinstimmt weiß ich wirklich nicht was ich zu solch einem kanal sagen soll so etwas ist wiederlich und die regisseurin ebenso

  • HK
    Heidi Kraft

    Ihren Kommentar hier eingeben

    Inzest zieht sich doch leider durch alle Lebensgemeinschaften, warum wurden ansonsten in sehr unterschiedlichen Kulturen so strenge Gesetze entwickelt, um diesen einzudämmen.

    Ich persönlich wäre niemals auf den Gedanken gekommen, jetzt alle Alewiten des Inzest zu verdächtigen. Genauso wenig, wie ich früher in Holland oder Frankreich darauf gekommen wäre, dass man mich (Jahrgang 1953) für einen Nazi halten könnte.

    Wenn ich mir meiner selbst bewußt bin, wozu dann immer und immer wieder diese unnötige Aufregung zwischen irgendwelchen Gruppen. Egal von welcher Seite es kommt, es geht mir ziemlich auf den Keks. Warum nicht lieber auf Gemeinsamkeiten schauen?