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Alemannia Aachen gegen St. PauliEine Tragödie im neuen Tivoli

Nach einer 0:5-Niederlage gegen St. Pauli und dem Sturz eines Fans von der Tribüne befürchtet Alemannia Aachen die Sperrung des eben erst eröffneten Stadions.

Aachens Manager Bornemann zum Sturz eines Fans von der Tribüne: "Eine richtige Katastrophe." Bild: dpa

Sie jauchzen und jubeln in St. Paulis Fanecke, wie man das so macht nach einem sensationellen 5:0-Auswärtssieg. Ein paar Minuten nach dem Abpfiff eilen die Pauli-Spieler dazu, tanzen Pogo und stimmen in den mächtigen Chor ein. Plötzlich helle Aufregung. Die Ordner in Panik, wild winkend, Schreie, Fingerzeige. Ein Ordner sprintet weg und kommt mit Alemannias Mannschaftsärzten zurückgerannt.

Die 2.000 Pauli-Fans sind schlagartig still. Einer von ihnen war über die gut sechs Meter hohe Brüstung zum Spielfeld kopfüber hinabgestürzt und blutüberströmt auf dem Beton liegen geblieben. Die Ärzte können ihn wiederbeleben. Dann wird er ins Uniklinikum gefahren. Ein anderer Fan liegt mit schwerem Schock apathisch an der Bande, auch er wird erstversorgt.

Was für ein Desaster für Alemannia Aachen: Erst zur Stadionpremiere die höchste Heimniederlage seit 62 Jahren, tölpelhaft und verkrampft gegen spielstarke Hamburger. Dann die Tragödie auf den neuen Tribünen.

Vor dem Premierenspiel hatten Stolz und Vorfreude geherrscht. Als Ehrengast Ulla Schmidt, die Noch-Gesundheitsministerin aus Aachen, vor einem überfüllten Aufzug stehen bleiben musste, empfahl jemand, schnell einen eigenen Dienstaufzug nachkommen zu lassen - alle lachten. Und plötzlich rang jemand mit dem Tod.

Alle waren unter Schock. Aachens Manager Bornemann: "Eine richtige Katastrophe." Geschäftsführer Kraemer eilte mit versteinertem Gesicht ins Krankenhaus. Der Spieler Szukala: "Wir schämen uns." Er meinte das 0:5. Trainer Seeberger meinte den Tribünensturz: "Mir ist schlecht. Ich will kotzen gehen."

Trifft die Alemannia als Bauherrin ein Mitverschulden? Im Innern des grellgelben 50-Millionen-Kastens für 33.000 Menschen ("eng, steil, laut"), gebaut in flotten 15 Monaten, war noch am Wochenende durchgearbeitet worden. Erst am Montagmorgen nahmen Polizei, Feuerwehr und Baubehörde die Arena ab, am Mittag wurde sie per Fax der DFL als neue Spielstätte angemeldet.

Im verwaisten Stadion wurden in der Nacht noch Spuren an der Unglücksstelle gesichert. Der Werbebanner einer Abwasserfirma hing halb abgerissen wie ein Trauerflor herunter. War so ein Szenario unkalkulierbar euphorischer Fanmassen vorhersehbar? Tragisch: Das Stadion ist einrangig, mit Sitzreihen überall herunter bis zum Platz.

Nur hier im Gästeblock N1, ausgerechnet über der Notzufahrt zum Stadioninnern, ist eine solche Brüstung, vor der sich hundert und mehr Menschen drängelnd sammeln können. Die Höhe entspräche den gesetzlichen Vorschriften, gab der Klub eilig zu Protokoll. Ein Polizeisprecher wollte eine Sperrung des Stadions "vorläufig ausschließen". Dennoch will Alemannia die ganze Arena umgehend auf bauliche Verbesserungen untersuchen.

Gut 20 Augenzeugen werden im Laufe der Woche von der Polizei gehört, sie standen am Spieltag zum Teil noch unter Schock und mussten seelsorgerisch betreut werden. Das gilt auch für die Spieler des Siegers, vor deren Augen, kaum 20 Meter entfernt, das Unglück passierte. "Einer unserer Spieler stand sogar direkt dabei. Der ist jetzt ganz neben sich und steht unter Beobachtung", sagte Pauli-Trainer Holger Stanislawski in der Nacht. Keiner wollte noch etwas zum Spiel sagen. "Fußball ist so nebensächlich", so Stanislawski. "Ich gebe unsere Tabellenführung für das Leben dieses Menschen."

Zu klären ist, ob der Mann fahrlässig und übermütig auf die kaum 1,20 Meter hohe Betonbande mit dem metallenen Handlauf gestiegen war und sich zunächst an einer seitlichen Glaswand festhielt. Oder ob er da saß, wie jemand gesehen haben wollte, und im Jubelgedränge hinüberkippte. Schlief der Ordnungsdienst?

Über den Gesundheitszustand des Opfers mit dem Totenkopftattoo auf dem Rücken gab es gestern keine Klarheit: Der 38-Jährige liege mittlerweile in einem stabilen künstlichen Koma, meldete der FC St. Pauli. Die Polizei teilte dagegen mit, er schwebe weiterhin in Lebensgefahr. Fest steht: Der Fan erlitt schwere Kopfverletzungen mit noch unbekannten Folgen.

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