Albrecht-Dürer Ausstellung: Der Künstlertyp
Eine Schau im Städel in Frankfurt macht den großen deutschen Renaissancemeister als europäischen Künstler kenntlich. Seine alte Kunst wirkt unmittelbar.
Albrecht Dürers Werke sind rund 500 Jahre alt, und oft ist eine uns fremd gewordene religiöse Symbolik in sie eingegangen. Muss man also gelehrte Bücher zu Rate ziehen, bevor man in diese Ausstellung geht? Nein. Die Sorge ist unberechtigt, die alte Kunst wirkt unmittelbar.
Etwa „Der heilige Antonius, von Dämonen gepeinigt“, ein um 1475 entstandener Stich. Im Mittelpunkt steht ein alter Mann in äußerst bedrängter Lage. Wohl kann die Darstellung der Figuren, die bei dem Alten Grauen erregen, heute nicht mehr erschrecken, doch die Komposition beeindruckt. Mehr noch: Versenkt man sich in dieses geradezu winzige Bildnis, ruft es Empfindungen von Enge und Unausweichlichkeit hervor.
Es stammt von Martin Schongauer, in dessen Nürnberger Werkstatt der junge Dürer seine Lehrjahre verbrachte. Schongauers Kunst hat ihre Qualitäten. Sieht man dann aber Dürers Stich „Der Engelkampf“ (1498), dem „heiligen Antonius“ thematisch verwandt, ist das Erstaunen groß: was alles Dürer aus dem Schwarz-Weiß der Holzschnitt- und Kupferstichtechnik herauszuholen versteht, um wie vieles nuancierter sein Ausdruck gegenüber demjenigen seines Lehrmeisters ist.
Jochen Sander, Kurator des Städel Museums, hat Werke von Dürer und überdies auch vieler seiner Zeitgenossen zusammengetragen. So ist dies eine Dürer-Ausstellung, die den Künstler kenntlich macht, indem sie über ihn hinausgeht, ihn inmitten von Auseinandersetzungen und Lernprozessen zeigt. Was Dürer und wen wiederum er herausfordert, Stoff umfangreicher und mithin erschöpfender Interpretationen, das wird dem Besucher auf höchst eindrucksvolle Weise direkt erfahrbar.
Etwas trieb ihn gen Süden. Zweimal bereiste Dürer im Laufe seines recht kurzen Lebens Italien, das Land der Renaissance, um dort zu schauen und zu lernen. Künstler wie Bellini oder Mantegna kannten die ungeheuer ausdrucksstarke Formen- und Gefühlssprache der Antike und beeindruckten damit den lernbegierigen Deutschen. Der, auch dies wird in Frankfurt gut sichtbar, eignete sich die Gedankenwelt und Ästhetik der Italiener Schritt für Schritt an.
Wieder in Nürnberg, malte er Adam und Eva als lebensgroßes Doppelbild. Eine Darstellung, die, ganz im Gegensatz zur Kunst des ausgehenden Mittelalters, die ersten Menschen nicht mehr als arme Sünder zeigte, vielmehr die Schönheit und Sinnlichkeit ihrer nackten Körper kokett hervorhob – und vielleicht, wer weiß, von manchem als Provokation empfunden wurde. Vor allem aber ist dieses Doppelbild vom damals neuen Humanismus durchdrungen, der statt der höheren religiösen Sphären nunmehr das Weltliche, ja Alltägliche in den Mittelpunkt des Empfindens und Denkens rücken will.
Italienischer Stil
Ein Ausstellungsglanzpunkt: der Großaltar, den Dürer 1509 im Auftrag der Frankfurter Kaufmannsfamilie Heller fertigstellte. Das Städel Museum konnte dessen Teile – sie befinden sich inzwischen an verschiedenen europäischen Orten – erstmals seit Langem wieder zusammenbringen und zusammenfügen. Der Altar zeigt Szenen aus der Bibel und der frühchristlichen Geschichte – natürlich auch die Stifter. Wer aber genau hinsieht, erkennt darüber hinaus: Im Zentrum steht, dort auf alle Ewigkeit sein Wertbewusstsein demonstrierend, Dürer selbst. Auch diese stolze Haltung hatte er aus dem Süden mitgebracht. Wie die italienischen Renaissancekünstler verstand sich auch der Nürnberger nicht mehr als Handwerker, sondern als schöpferische Persönlichkeit.
Sein Betätigungsfeld war enorm. Dürer arbeitete im Auftrag von Kirchen, Kaufleuten, auch des Kaisers Maximilian höchstselbst. Er legte nach seiner italienischen Reise zunehmend Wert auf seine äußere Erscheinung, pflegte eifrig seinen Bart, stilisierte als erster deutscher Künstler überhaupt seinen Typus. Er schrieb kunsttheoretische Lehrbücher, malte, veröffentlichte Holzschnitt- und Kupferstichserien in Buchform, fertigte Altäre.
Er bewegte sich im vorgegebenen Rahmen einer Genrekunst, arbeitete sich an Vorbildern ab und fand dabei immer wieder aufs Neue zu sich. All das in Frankfurt nachzuvollziehen ist gewiss sehr lehrreich. Warum aber steht man die meiste Zeit vor einem Werk wie „Melencolia I“? Dieser kleine Kupferstich berührt seltsam. Zu sehen: eine Gestalt mit Zirkel in der Hand, die schwermütig sinnt; im Hintergrund grauenerregende Zeichen, ein unheimlich strahlender Himmelskörper.
Zwischen Rationalität und Mystik
Folgt man dem großen Hamburger Kunstforscher Aby Warburg, war die Renaissance keineswegs ein Zeitalter der triumphierenden Vernunft, sondern beständig von Konflikten zwischen magischen Vorstellungen und Rationalität, Macht- und Geschäftsinteressen zerrissen. Damals hatten viele Leute in Europa die Vorstellung, der Planet Saturn steuere das irdische Geschick. Wahrscheinlich droht seine Strahlung jene Figur auf Dürers Stich zu überwältigen, die wiederum ihr Nachdenken, ihre Intellektualität dagegensetzt. Dabei ist sie in einer offenkundig entgötterten Welt ganz auf sich gestellt, ohne Halt.
Bis 2. Februar 2014 , Städel Museum, Frankfurt am Main, Katalog (Prestel Verlag) 39,90 Euro.
Doch das Szenario ist alles andere als desolat. Denn in Form seines Stiches macht Dürer die entgegengesetzten Gefühlszustände greifbar und bringt sie zugleich in eine Balance, bannt sie. Ebendies Bannen überträgt sich auf den Betrachter, macht die ungeheure Spannung für den Moment aushaltbar. So entsteht Spielraum. Vielleicht wegen dieser Wirkungsweise nannte Dürer die Kunst in seinen Aufzeichnungen „ein Feuer, das durch die ganze Welt leuchtet“.
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