piwik no script img

Tiranas Kommunisten geben nachAlbaniens Führung auf dem Rückzug

■ Nach den Massendemonstrationen vom Vortage, bei denen die Enver-Hoxha-Statue in Tirana vom Sockel gerissen worden war, feiert die Bevölkerung Freudenfeste in den Straßen der Hauptstadt. Sicherheitskräfte verbrüdern sich mit den Demonstranten. Präsident Ramiz Alia hatte noch am Abend die Bildung einer neuen Regierung angekündigt, die er selbst bis zu den Wahlen am 31. März zu führen gedenkt.

Wenige Stunden nach der Massendemonstration der Hunderttausend von Tirana hat die albanische Führung den Forderungen der streikenden Studenten und Arbeiter nachgegeben: Die Enver-Hoxha-Universität wie der Industriebetrieb in Tirana, der seinen Namen trägt, werden ihren Ehrennamen los. In einer Fernsehansprache kündigte Staats- und Parteichef Ramiz Alia an, daß er sich entschieden habe, „alle Geschäfte im Staat selbst zu übernehmen“. Alia will das Volk „auf möglichst friedliche und dem Recht folgende Weise zu einem neuen Staat führen“. Damit ist die politische Hauptforderung der Streikenden, Rücktritt der Regierung, erfüllt. Bis jetzt ist aber unklar, ob die Oppositionsparteien, wie die Demonstranten es gefordert hatten, in eine bis zu den Wahlen amtierenden Übergangsregierung einbezogen werden.

Noch am Mittwoch mittag hatte Alia die Demonstranten als „irritierte Menschenmassen“ bezeichnet, die „Akte des Vandalismus“ verübten und „jede Vernunft verloren haben“. Die Demonstranten würden von einer Strategie manipuliert, die die Zerstörung Albaniens zum Ziel hätte.

Neuigkeiten nur durch Mundpropaganda

Da das staatliche Fernsehen die Streiks und Demonstrationen völlig ignoriert, kursieren die Neuigkeiten vor allem dank der Mundpropaganda und der Arbeit einzelner Journalisten, die sich nicht mehr der Zensur beugen. Auf diese Weise erfuhren die Albaner nicht nur, daß es in den meisten Städten zu Solidaritätsdemonstrationen mit den Studenten gekommen war, sondern vor allem, daß sich in Tirana die Sicherheitsorgane mit den Demonstranten verbrüderten.

Angesichts von 100.000 Demonstranten, die sich in der Innenstadt drängten, hatten weder die uniformierten Einheiten noch die V-Leute der gefürchteten Geheimpolizei Sigurini gezielt von der Schußwaffe Gebrauch gemacht, obwohl noch am Vormittag Schießbefehl gegeben worden war. Einzelne Geschäfte wurden geplündert, aber im Ganzen verhielten sich die Demonstranten friedlich und diszipliniert. Augenzeugen berichten, vereinzelt sei von der Polizei in die Luft gefeuert worden. Klar ist, daß ohne die Einwilligung der 5.000 Sicherheitskräfte auf dem Skanderbeg-Platz die Demonstranten weder zu der Hoxha-Statue hätten vordringen noch sie vom Sockel stürzen können. Ramiz Alias Anordnung, den Platz hermetisch abzuriegeln, wurde entweder zurückgenommen oder von den paramilitärischen Einheiten ignoriert.

Verbrüderung mit der Polizei

Ob es jedoch überall in Albanien zur Verbrüderung der Demonstranten mit den Sicherheitskräften kam, ist zur Stunde noch unklar. Die Studenten in Tirana haben ihren Hungerstreik für beendet erklärt. Augenzeugen zufolge jedoch halten die Streiks und Demonstrationen im ganzen Land an. Ramiz Alias Aufruf, „kehrt zurück zur Arbeit, ich brauche die Hilfe aller Parteien und Organisationen, laßt uns zusammenarbeiten“, scheint nicht befolgt zu werden.

Vollkommenes Chaos herrschte am Mittwoch abend an der ehemaligen Enver-Hoxha-Universität. Tausende drängten sich dort um das am Skanderbeg-Platz vom Sockel gestürzte und auf den Uni-Campus geschleppte Denkmal des verhaßten Diktators. Dort wurde der einstige Heros mit Farbe und Eiern beworfen. Man tanzte um den Götzen und beschwor „die Vertreibung der bösen Geister, die Albanien zur letzten kommunistischen Enklave gemacht“ hätten.

Über dieses freudige Ereignis hüllte sich wie über die meisten andere Ereignisse dieses Tages das offizielle Tirana auch am gestrigen Donnerstag in tiefes Schweigen. RoHo/C.S

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen