piwik no script img

■ Albanien: Das Regime von Sali Berisha ist am EndeChaos oder Revolution

Wieder einmal geht ein Gespenst um in Europa. Chaos herrsche in Albanien, Anarchie und Gesetzlosigkeit, heißt es in fast allen Medien. Und sogar viele Linke, die noch vor wenigen Jahren von Revolutionen träumten, wollen nicht wahrhaben, um was es sich wirklich in Albanien handelt: um einen bewaffneten Volksaufstand, der dieser Tage in eine Revolution gemündet ist.

Alle Merkmale einer Revolution sind erfüllt: Der Präsident ist entmachtet und wahrscheinlich geflohen, der Staatsapparat hat aufgehört zu funktionieren, die Armee ist gespalten und paralysiert, die Macht der repressiven Sondereinheiten der Polizei ist dahingeschmolzen wie der Schnee in der Frühlingssonne. Das bewaffnete Volk übt in weiten Teilen des Landes die Herrschaft aus. In Albanien findet eine politische Revolution statt.

Ist es dabei wirklich beklagenswert, daß diese revolutionäre Bewegung noch nicht über ein Programm verfügt, noch nicht weiß, wohin sie steuern will? War es denn ein Vorteil, daß in anderen Revolutionen die Kommunisten schon im voraus wußten, wohin es gehen sollte? Die albanische Revolution von heute ist naiv, offen, gegen eine Diktatur gerichtet, beseelt von dem Ziel, die korrupte Staatsführung zu beseitigen, um nach 45 Jahren Stalinismus und fünf Jahren Berisha-Demokratur endlich zu einer echten Demokratie zu gelangen. Insoweit steht sie in der Tradition der Volkserhebungen von 1989.

In nur wenigen Tagen wurden tatsächlich auch einige Gegenstrukturen entwickelt: Volksversammlungen wählen Komitees, die sich nun auf regionaler Ebene zusammenschließen – das ist ein basisdemokratisches Modell. Von einem Oberkommando der Volksstreitkräfte war bei den Rebellen schon am Dienstag die Rede. Und es ist wahrscheinlich, daß diese Strukturen bald auch auf nationaler Ebene entwickelt sind.

Natürlich geht noch vieles durcheinander. Die neuen Strukturen verfügen über noch zu geringe Autorität, um Desperados zu kontrollieren. Doch sie geben die Chance für einen völligen Neuaufbau des Staates. Und damit einer dem Lande angemessenen Demokratie. Deshalb sind von internationaler Seite nun behutsame Hilfestellungen gefordert. In der Historie folgten auf Revolutionen bisher Phasen des Terrors. Das braucht sich in Albanien nicht zu wiederholen. Erich Rathfelder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen