Aktivistin über mangelndes Interesse: „Klimaschutz muss wieder zur Sache der Linken werden“
In progressiven Debatten kommt die Erderhitzung kaum vor, kritisiert Fridays-for-Future-Campaignerin Magdalena Hess. Sie weiß auch, woran das liegt.

taz: Frau Hess, wie zu Beginn der Klimaproteste 2018 herrschte auch in diesem Jahr in Deutschland wieder monatelang Dürre, wir hatten im Juni Höchsttemperaturen – und es gibt eine schwarz-rote Bundesregierung, die den Klimaschutz ausbremst. Wäre jetzt nicht der perfekte Zeitpunkt für ein Comeback von Fridays for Future?
Magdalena Hess: Das frage ich mich auch. Die gesellschaftliche Stimmung ist heute aber eine andere als 2018, als Fridays for Future gestartet ist. Damals gab es eine progressive Aufbruchsstimmung, heute erleben wir einen massiven Rechtsruck: Rechte Kräfte schaffen es besser, den Unmut über den Status quo aufzugreifen, und sie sind es, die Veränderung verkörpern. Darüber ist auch die junge Generation gespalten.
Was mich aber wirklich irritiert: Innerhalb der gesamten politischen Linken hat Klimaschutz stark an Bedeutung verloren. Es gab eine Phase, in der ökologische Themen präsent waren. Heute hat sich ein Diskurs durchgesetzt, in dem man über soziale Gerechtigkeit redet, aber das Klima ausblendet – als könnte man eine gerechte Welt versprechen, ohne Klimaschutz ernst zu nehmen. Das ist inkonsequent und unehrlich.
taz: Klimaschutz spielt in linken Bewegungen keine Rolle mehr?
Hess: Zumindest nicht in dem Maße, wie es nötig wäre. Das ist zu einem Mobilisierungsproblem geworden: Viele Aktive sind in Strukturen eingebunden, die sich auf soziale Themen und Antifaschismus konzentrieren – was absolut wichtig ist. Aber gleichzeitig wird Klimaschutz oft den „liberalen Ökos“ überlassen. Aus linker Perspektive scheint das Thema zum vernachlässigbaren Nebenwiderspruch geworden zu sein – nach dem Motto: Wenn wir erst mal den Kapitalismus abgeschafft haben, löst sich das Klimaproblem von selbst. Aber so einfach darf man es sich nicht machen.
23, ist Klimaaktivistin und in der Klimabewegung Fridays for Future unter anderem auf Social Media und in der Kampagnenarbeit tätig. Seit Oktober 2024 ist sie Beisitzerin im Bundesvorstand der Grünen Jugend. Sie studiert Geschichte, Politik und Soziologie in Potsdam.
taz: Wozu führt das?
Hess: Ich erlebe in meinem Umfeld viele, die in eine „Das bringt eh nichts“-Haltung verfallen, andere reden die Dringlichkeit klein. Unsere Aufgabe als Klimabewegung und als gesamte politische Linke ist, da eine selbstbewusste Antwort drauf zu finden.
taz: In einem Ihrer Videos sagen Sie: „Nur weil ihr euch nicht mehr für die Klimakrise interessiert, ist sie nicht weg.“ Wem gilt diese Anklage?
Hess: Es ist ein Weckruf an all jene, die unsere Argumente teilen, früher vielleicht sogar selbst protestiert haben, aber jetzt gar keine Pflicht mehr spüren, sich einzubringen. Ich finde es völlig legitim, sich mit Themen wie Antifaschismus oder Demokratie zu beschäftigen. Aber es geht nicht, Klimaschutz einfach von der Prioritätenliste zu streichen, nur weil andere Debatten gerade mehr Aufmerksamkeit versprechen. Wir haben keine Zeit, eins nach dem anderen abzuarbeiten. Die Klimakrise ist massiv zeitkritisch – das unterscheidet sie fundamental von anderen politischen Problemen.
taz: Nach außen hört man von Fridays for Future aber doch oft: Die Mehrheit der Gesellschaft steht weiter hinter uns, alles gut.
Hess: Das ist strategische Kommunikation – und ich verstehe das. Fridays darf sich nicht mit anderen linken Bewegungen zerstreiten. Aber innerhalb der Bewegung herrscht viel Frust. Wie denn auch nicht? Denn es stimmt ja: Die Umfragen zeigen weiterhin, dass ein Großteil der Menschen sich ambitionierten Klimaschutz wünschen. Was hingegen drastisch abgenommen hat, ist das Vertrauen in Parteien und Regierungen, was die gerechte Gestaltung von Klimaschutz betrifft.
Sommerkongress: Anfang August kommen Fridays-Aktivist*innen in München zu einem fünftägigen Sommerkongress zusammen. Es geht um strategische Kommunikation und Vernetzung.
Wärmepumpen: Workshops gab es 2024 bereits zur Solarinstallation, nun wollen die Klimabewegten zu Wärmepumpen informieren. In einem Camp vom 24. bis zum 29. August in Berlin sowie in weiteren Onlinetrainings wird Wissen über Geräte, Fördergelder und Einbaumöglichkeiten vermittelt. Ziel ist, dass die Ausgebildeten danach selbst als Energieberater*innen arbeiten können.
Gas-Protest: Auf Borkum findet Anfang September ein Bildungs- und Protestcamp von Fridays for Future und der Deutschen Umwelthilfe gegen die Bohrungen im Watt statt. Widerstand gegen Erdgasförderung steht schon länger im Fokus der Gruppen. (arnh)
taz: Das liegt daran, dass auch die Ampelregierung, die unter anderem mit ambitionierter Klimapolitik angetreten ist, enttäuscht hat?
Hess: Genau. Selbst im linken und progressiven Lager fühlt sich dafür kaum jemand verantwortlich, weder die Linkspartei noch die SPD, oft nicht mal die Grünen, solange Klimaschutz kein Gewinnerthema mehr ist. Als wäre es ein Nice-to-have und nicht die fundamentale Grundlage, um linke und fortschrittliche Politik überhaupt denken zu können.
taz: Wie viel Rückenwind spüren Sie noch?
Hess: Unsere Forderungen orientieren sich an wissenschaftlichen Fakten, nicht an Umfragen. Die Alternative zu Klimapolitik ist Klimakrise – und die hat zum Glück auch keine politische Mehrheit.
taz: Aber muss Klimaschutz beliebt sein, damit er durchgesetzt werden kann?
Hess: Wir orientieren uns als Bewegung leider zu oft an Zustimmungswerten. Klar, wenn 70 Prozent mehr Solarausbau wollen, ist das ein gutes Argument. Aber es gibt eben auch Themen, die weniger beliebt, aber notwendig sind: Flugreisen. Fleisch. Autos. Wärmepumpen. Der Fokus auf Umfragen darf nicht dazu führen, dass wir unangenehme Wahrheiten nicht mehr aussprechen. Oft habe ich das Gefühl, wir Klimaaktivist*innen stehen damit allein da – als müssten wir allein der Gesellschaft ein attraktiveres Angebot machen, damit sie sich nicht mehr mit einer Politik abfindet, die unsere Lebensgrundlagen zerstört.
taz: Traut ihr euch selbst zu, noch etwas zu bewegen?
Hess: Im Moment fühlt sich vieles nicht nach Fortschritt an. Dann ist es schwer zu sagen: Schaut mal, wie weit wir gekommen sind! Als die Massen noch auf der Straße waren, wurde mit dem Green Deal der EU das wichtigste Klimaschutzgesetz der Welt beschlossen. Seit sie weg sind, wird es Stück für Stück abgeschafft. Genauso wie viele Vorhaben in Deutschland.
Ich tue mich schwer damit, den Windausbau zur Ermutigung zu nehmen, während sich die Klimakatastrophe zuspitzt. Aber: Ich bin überzeugt, dass Protest etwas verändern kann. Ich habe erlebt, wie Demos einen riesigen Unterschied machen und breit anschlussfähig sein können. Wir sind noch lange nicht verloren und haben ganz viel Handlungsspielraum.
taz: Und jetzt? Wie lässt der sich nutzen?
Hess: Wir müssen raus aus der Logik, dass immer die Übriggebliebenen die Verantwortung allein tragen. Es geht nicht nur um Fridays for Future, sondern um die gesamte Gesellschaft. Ich wünsche mir eine neue Welle erster Schritte – von Leuten, die den Mut haben, sich von unten fürs Klima zu engagieren. Menschen, die neue Aktionen ausprobieren, die wieder auf die Straße gehen, allein, zu zweit, zu dritt. Und auch unter Linken ist es Zeit, sich ehrlich zu fragen, ob wir bereit sind, uns den schwierigen Debatten zu stellen, die echte Klimapolitik erfordert.
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