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Aktivistin über Post-Brexit-Rassismus„Verstärkt, schamloser und direkter“

Der Brexit ermutigt Rassisten, sagt Karissa Singh. Die Menschenrechtsaktivistin kreierte #PostRefRacism – Tausende dokumentieren Vorfälle im Netz.

„Der Brexit stellt keine Legitimation für Einschüchterungen dar.“ Foto: dpa
Interview von Felix Hackenbruch

taz.de: Frau Singh, was war Ihre Motivation hinter dem Hashtag PostRefRacism?

Karissa Singh: Am Freitag nach dem Brexit war ich mit meinem Bruder etwas trinken, als ein weißer Mann auf uns zukam und sagte: „ Als wir für ‚leave‘ stimmten, hätte das auch für euch alle gelten sollen. Es ist mir egal, dass ihr hier seid, um Ärzte, Juristen oder was auch immer zu werden. Geht einfach zurück in euer Land und arbeitet dort.“ Das war am helllichten Tag, in einer gut besuchten Studentenkneipe. Danach berichteten mir viele Freunde von ähnlichen rassistischen Beschimpfungen. Ich wollte deswegen eine Plattform schaffen, die diese Aggressionen dokumentiert, eine Normalisierung verhindert und Menschen dazu ermutigt, solche Vorfälle publik zu machen.

Waren Sie auch schon vor dem Brexit Ziel von Anfeindungen?

Ja, ich wurde beleidigt. Ich bin mir auch sicher, dass viele Vertreter von Minderheiten in Großbritannien bestätigen können, dass Rassismus hier kein neues Problem ist. Seit dem Referendum scheint Rassismus aber verstärkt, schamloser und direkter aufzutauchen. Durch den Brexit fühlen sich die Täter in ihren Ansichten bestätigt und denken, dass ihnen keine Konsequenzen drohen. Was sie offensichtlich nicht verstanden haben, ist, dass der Brexit keine Legitimation für Rassismus und Einschüchterungen darstellt.

Wann haben Sie bemerkt, dass Ihre Erfahrung direkt mit dem Brexit zusammenhängt?

Nach den unzähligen Erfahrungen von mir und meinen Freunden war mir klar: Das kann kein Zufall sein. Der triumphierende und siegessichere Ton dieser Beleidigungen direkt nach dem Ergebnis, zeigt, wie eng die Brexitforderungen („take back control, take back our country“) mit einer neuen Rassismuswelle zusammenhängen. Die Resonanz auf den Hashtag hat mich überrascht und gleichzeitig betroffen gemacht.

Im Interview: 

23, hat in Cambridge Naturwissenschaften und Psychologie studiert und arbeitete zuletzt bei einer bolivianischen Menschenrechtsorganisation in La Paz.

Wie viele Menschen haben seither ihre Geschichten unter #PostRefRacism geteilt?

Wir versuchen das gerade zu erfassen. Wir hoffen, dass uns bald konkrete Zahlen vorliegen. Die britische Polizei hat seit vergangener Woche einen Anstieg um 57 Prozent bei Hasskriminalität festgestellt. Die Taten geschehen im ganzen Land, aber wir bekommen vor allem aus städtischen Gebieten, wo Twitter stärker genutzt wird, Informationen.

Können Sie die Ihnen bekannten Fälle bei der Polizei anzeigen?

Ich glaube, dass theoretisch jeder Vorfall vor Gericht kommen könnte. Betroffene sollten sich deshalb an die Polizei wenden. Wir unterstützen sie dabei und ermutigen alle – direkt Betroffene oder Augenzeugen – Rassismus aufzudecken und seine Normalisierung zu verhindern. #PostRefRacism verfolgt eine Null-Toleranz-Politik.

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