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Aktivist über Reisen zu Protesten„Ich möchte dienen“

Pedram Shahyar lässt keinen Aufstand aus. Er besuchte die Proteste in Kairo, Madrid und zuletzt Istanbul. Was soll der Bewegungstourismus?

Willkommen im Jetset: Ab in den Aufstand. Bild: dpa
Martin Kaul
Interview von Martin Kaul

taz: Herr Shahyar, Sie sind der Inbegriff des Aufstandstouristen. Sie haben auf dem Tahrir-Platz demonstriert, gerade kommen Sie aus Istanbul zurück. Was ist so sexy daran, dauernd mit Demonstranten in aller Welt rumzuhängen?

Pedram Shahyar: Es ist einfach eine unvergleichbare Erfahrung zu erleben, wie sich Menschen in Ausnahmesituationen organisieren und zu sehen, welche Kulturen um diese Proteste herum entstehen, welche Energie da in der Luft liegt.

Es gibt viele Menschen, die kein Verständnis für diese Form des Krawalltourismus haben.

Das ist kein Krawalltourismus, sondern mein politischer Beitrag. Ich versuche die Erfahrungen, die Menschen in verschiedenen Teilen der Erde machen, zu kommunizieren. Ich stehe nirgendwo in der ersten Reihe und ich würde mich hüten, den Leuten zu sagen, was sie zu tun haben. Ich stelle Fragen, beobachte, kommuniziere diese Erfahrung und überbringe auch Solidaritätserklärungen aus Deutschland. Überall wo ich bisher war, haben sich die Menschen sehr über dieses Zeichen gefreut.

Auf Facebook posten Sie Bilder von sich, bei denen sie stolz neben einheimischen Demonstranten stehen.

Der Sinn solcher Fotos ist, dass man die Stimmung zu vermitteln versucht. Ich möchte den Menschen und ihren Anliegen dienen, indem ich ihre Stimme weitertrage – und zwar mit einer anderen Logik als Medien es tun. Ich erstatte Bericht aus der direkten Position politischer Aktivisten.

Bild: privat
Im Interview: 

40, ist Mitglied bei Attac und der Interventionistischen Linken. Er bloggt unter pedram-shahyar.org und reiste zu den Protesten auf dem Tahrir-Platz in Kairo, zur Demokratiebewegung in Madrid und war zuletzt bei Aktivisten im Gezi-Park in Istanbul.

Sie waren in Kairo und besuchten die Demokratiebewegung in Madrid. Was ist das besondere in Istanbul?

Die politische und soziale Kultur im Gezi-Park ist einzigartig. Das besondere am Gezi-Park ist dieses spezifische Gefühl des politischen Erwachens. Ich habe so etwas noch nie in der Form erlebt. Prägend ist die Generation von 20 bis 25-jährigen, deren Lebensstil sehr global ausgerichtet ist und die so sehr ihre Beschränkungen spürt.

In der Türkei geht es um einen autoritären Machthaber. Sie behaupten, die Türkei-Proteste reihen sich ein in einen globalen Aufstand gegen die kapitalistische Krise. Ist das nicht Wunschdenken eines europäischen Antikapitalisten?

Was die Leute vor allem zur Weißglut bringt, ist der autoritäre Stil Erdogans. Aber wie bei den meisten Aufständen der letzten Jahre ist das Unbehagen vielschichtig. Die soziale Frage stellt sich in diesem Protest anders als in Ägypten oder Madrid. Der Konflikt, dass in einem öffentlichen Park eine Shoppingcenter gebaut wird, finanziert von arabischen Petrodollars, hat Symbolcharakter. Der Zugang zur Stadt spielt in Istanbul, wo ganze Stadtviertel in den letzten Jahren von Roma befreit wurden, eine große Rolle. In der Selbstorganisation im Gezi-Park gab es alles kostenlos. Das ist ein ganz bewusst gewählter Ausdruck gegen die Logik des Marktes.

Sie kommen gerade zurück aus Istanbul. Wo geht die nächste Reise hin?

Das lässt sich schwer sagen. Ich plane, am 30. Juni in Kairo zu sein, wenn es mein Konto erlaubt. Dort gibt es eine riesige Mobilisierung gegen die Muslimbrüder.

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6 Kommentare

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  • Wenn man sich, egal in welcher deutschen Presse, Berichte über die "neuerechten" Friedensmahnwachen ansieht (wo Pedram seit kurzem auch spricht), erkennt man einen sogar noch schlimmeren journalisten Stil.

    Selbst die angeblich intellektuellste

    Presse aus Hamburg diffamiert zu

    diesem Thema, als gebe es sonst kein Morgen mehr.

    Was ist hier los?

    Langsam krieg ich Gänsehaut.

     

    Die Friedensmahner sind nicht definitiv nicht "braun".

    Aber welche Farbe nimmt die "neue" Presse gerade an ?

  • Die gleiche Voreingenommenheit

    dieses Beitrages ist auch bei der Zeit-Online oder Spiegel-TV deutlich auszumachen.

    Ich kann nur jedem empfehlen sich selbst ein Bild von Pedram Shayar und den angeblich "neu-braunen" Friedensdemonstranten zu machen.

     

    Die sind nämlich alles andere als braun, sondern eher Rote ohne

    reaktionäre Scheuklappen, aber das

    scheint Herr Kaul als Redakteur für

    soziale Bewegungen und Politik von unten irgendwie entgangen zu sein.

  • IQ
    Investigativjournalismus - quo vadis?

    Ich habe noch selten ein Interview gelesen, bei dem die Voreingenommenheit, das BILDhafte Brett vor dem Kopf und der unhöfliche Stil beim Interviewer so augenscheinlich waren. Ich würde mir eine solche respektlose Interviewführung eher bei mächtigen Personen wie Merkel wünschen. Aber bei denen dominiert meistens die unkritische und duckmäuserische Herangehensweise bei den Interviewern.

  • R
    Reiner

    Der "Aufstand" ist bereits überfällig, nicht nur in der Türkei, auch im braven TV-Germania

     

    Auch in der Türkei, so wie in Spanien und Griechenland (trotz 50 % Jugend-Arbeitslosigkeit), träumen die Menschen vom Wohlstand im Kapitalismus! - vom Wohlstand in der (a)"sozialen Marktwirtschaft" der Bourgeoisie und Aktionäre.

     

    Nur, wer macht die wertschöpfende Arbeit dafür? - natürlich die eigentumslose werktätige Bevölkerungs-Mehrheit!

  • B
    blödsinn

    Womit dient er denn, wenn er dort ist ? Dienen wäre für mich das was die Nonne in seinem Land damals machte, aber nicht seine Sensationslust befriedigen.

  • FP
    Florian P

    "Ich möchte dienen" - so ein interessantes Interview und dann diese dümmliche Überschrift auf BILDniveau. Die Fragenauswahl des Taz-Mitarbeiters zeugt auch nicht gerade von journalistischem Können..