Aktivist Karl-Caspar Linde über die Mittel des Protests: „Die Gewalt passiert in den Schlachthöfen“
Nachdem die Braunschweiger Tierbefreiungsbewegung einen mutmaßlichen LKA-Spitzel in ihren Reihen enttarnt hat, sitzt der Schock tief.
taz: Haben Sie noch Kontakt zu Ralf G., dem mutmaßlichen V-Mann?
Karl-Caspar Linde: Ende letzten Jahres waren wir noch einmal da und haben mit ihm gesprochen. Seitdem gibt es keinen Kontakt mehr. Er geht auch nicht mehr ans Telefon.
Hat sich das Landeskriminalamt mittlerweile mit Ihnen in Verbindung gesetzt?
Nein. Wir kennen bisher nur die Stellungnahme der Presse gegenüber.
Können Sie nach der Sache mit Ralf G. in Ihrer Gruppe noch unbefangen zusammenarbeiten?
In der Theorie haben wir schon lange darüber geredet, dass es die Möglichkeit gibt, dass der Staat einen Spitzel bei uns einsetzt. Jetzt wurde es konkret. Das war schon ein Schock. Wir kucken jetzt, wie wir damit umgehen können und was wir anderen Bewegungen raten können, sich davor zu schützen.
Wie lautet Ihr Rat?
Hundertprozentig davor schützen kann man sich nicht. Man muss einen vertrauensvollen Umgang schaffen, bei dem man auch Verdachtsmomente aussprechen kann. Dann kann man versuchen dem nachzugehen. In Zukunft auch schneller.
23, ist beteiligt an der "Wietze_n-Kampagne" gegen die Schlachthöfe von Rothkötter in Wietze und Wiesenhof in Wietzen.
Wann haben Sie bei Ralf G. gemerkt, dass da etwas nicht stimmt?
Einzelne Leute hatten schon länger einen Verdacht: Die Verhaltensweise ist komisch, der geht bei Gruppentreffen immer wieder raus zum Telefonieren, Sachen, die er von seiner Biographie erzählt, widersprechen sich. Richtig konkret wurde es, als die zweite Blockade im Oktober aufgeflogen ist. Da war klar, dass Informationen, die wir intern besprechen, zur Polizei kommen.
Was wollten Sie da blockieren?
Da wollten wir den Schlachthof in Wietze blockieren und haben am Vorbereitungsort gemerkt, dass wir bereits von der Polizei observiert werden.
Ist es aus Ihrer Sicht zweifelsfrei, dass Ralf G. ein V-Mann war?
Ja. Wir haben E-Mails gesehen, die er uns sogar selber gezeigt hat, nachdem wir ihn mit dem Vorwurf konfrontiert haben. Aus den E-Mails geht eindeutig hervor, dass er E-Mails mit Informationen über die Gruppe an andere weiterleitet. Hinzu kommt, dass das Landeskriminalamt nichts abstreitet.
Ist Ihre Gruppe schon einmal in einem Bericht des Verfassungsschutzes aufgetaucht?
Nicht direkt. Es heißt in dem Bericht, militante Tierschützer seien zunehmend eine Gefahr. Es würden Brandanschläge auf Mastanlagen verübt, wozu sich die Animal Liberation Front bekannt hat. Und es habe Besetzungen von Mastanlagen gegeben.
Was sind die Aktionsformen Ihrer Gruppe?
Besetzungen von Mastanlagen und Blockadeaktionen von Schlachtfabriken. Aber auch viel Recherche und Öffentlichkeitsarbeit zu den Schlachthöfen und den Machenschaften der Fleischindustrie.
Wie hält es Ihre Gruppe mit der Gewaltfrage?
Da gibt es unterschiedliche Meinungen. Ich kann nur für mich sprechen. Ich finde militante Aktionen per se nicht schlecht. Wenn ich mir vorstelle, welche Gewalt in den Schlachthöfen mit den Tieren passiert, wie die Arbeiterinnen da ohne Krankenversicherung ausgebeutet werden und wie Menschen in Lateinamerika für den Futtermittelanbau vertrieben werden, dann steht für mich der Gewaltakt der Sabotage einer Mastanlage dazu in keinem Verhältnis. Ich würde die Frage in den Raum werfen: Was ist der Brandanschlag auf eine Mastanlage gegenüber dem Bauen einer Mastanlage und dem Organisieren von Mord und Leid?
Haben Sie schon mal versucht, mit den Betreibern der Anlagen in Wietze und Wietzen zu sprechen?
Ja, aber die reden nicht mit uns.
Und wie geht es nun weiter mit Ihrer Gruppe: Haben Sie für die nächste Zeit neue Aktionen geplant?
Wir wollen weitermachen mit unserer Arbeit, unseren Aktionen und unserer Kampagne. Zum Beispiel planen wir am 8. Februar eine Demonstration in Hannover, bei der wir den Vorfall nochmal aufgreifen. Die Demo wird am LKA vorbeigehen und am Landwirtschafts- und Innenministerium.
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