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Aktie und Börse - Teil 12Schon Joseph war Spekulant

■ Die Lust am Spiel mit den auf– und abstrebenden Werten ist Jahrtausende alt / Wirtschaftswissenschaftler Keynes tats vom Bett aus

Für Kurt Tucholsky diente die Börse nur dazu, „einer Reihe aufgeregter Herren den Spielclub oder das Restaurant zu ersetzen“. Die Börse, ein Monte Carlo ohne Musik? Für die eingefleischten Kapitalisten ist die Börse die Seele, das Nervenzentrum, ja sogar der Motor des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Es gibt Leute, die Zinsveränderungen vorausahnen und damit Geld verdienen. Wieder andere können gute Geschäfte mit Wertpapieren machen, bei denen man im Grunde mit Rohstoffen spekuliert. Eine dritte Gruppe mag sich auf den Konjunkturzyklus stützen, um so herauszufinden, ob es mit der Wirtschaft bergauf oder bergab geht. Man kann in Aktien und allen Währungen der Welt spekulieren, in ungarische Staatsanleihen und australische Goldminen, in Hopfen und Malz, in edlen und unedlen Metallen, in Schweinebäuchen und Mastrindern. Vielleicht war der erste Spekulant Joseph von Ägypten, der aus dem Traum des Pharao von den sieben fetten und den sieben mageren Jahren die richtigen Konsequenzen zog. Während der fetten Jahre lagerte er große Getreidevorräte an, um sie dann während der folgenden mageren Jahre bei hohen Preisen auf den Markt zu bringen. Der griechische Philosoph Thales (um 600 v. Chr.) machte mittels einer Ölpressen–Spekulation mal rasch das große Geld; aber nur, weil er das ewige Gerede von der Lebensuntüchtigkeit der Philosophen satt hatte und zum Verstummen bringen wollte. In der Börsenspekulation der Neuzeit sollen sich Größen wie Sir Isaac Newton, der Entdecker der Gravitationsgesetze, Voltaire und Balsac versucht haben. Vielleicht verdanken wir die schönsten Bilder Gaugins seinem Reinfall an der Börse. Hochverschuldet mußte er nach Tahiti fliehen. Einer, der durch Spekulationen an der Börse verdiente, war der bedeutendste Nationalökonom des 20. Jahrhunderts: John Maynard Keynes schuf auf diese Weise nicht nur ein Vermögen für sich selbst, sondern auch für sein College, das Kings College in Cambridge. Er soll seine Spekulationsgeschäfte eine halbe Stunde morgens im Bett getan haben. Der Handel am Wertpapiermarkt war für ihn ein Spiel, „wie Zack, Schwarzer Peter oder Die Reise nach Jerusalem, ein Vergnügen, bei dem derjenige Sieger ist, der weder zu früh noch zu spät Zack ruft, der den Schwarzen Peter vor Spielende seinem Nachbarn andreht oder sich einen Stuhl sichert, wenn die Musik aufhört. Diese Spiele können mit Begeisterung und Vergnügen betrieben werden, obwohl alle Mitspieler wissen, daß der Schwarze Peter zirkuliert oder daß einige von ihnen keinen Stuhl finden werden, wenn die Musik aufhört. Von dem größten „Glücksspielbetrieb in den Vereinigten Staaten“ spricht Dr. Thomas Schelling, Nationalökonom der Harvard Universität und Verfasser mehrerer Werke über militärische Strategie. Einer der heutigen Altmeister der Börse ist der Ungar Andre Kostolany. Er würde Schellings Formulierungen sicherlich als unglücklich bezeichnen. Seine Devise: „Der Effektenmarkt ist eher praktizierte Massenpsychologie, man muß nur besser als die Masse erraten, wie die Masse sich verhalten wird. So ist nicht die Tatsache Krieg oder Frieden für die Börsentendenz absolut entscheidend, sondern die psychologische Reaktion des Publikums darauf.“ Die Technokraten unter den Spekulanten versuchen die Auf– und Abwärtsbewegungen der Aktien an einer Logik festzumachen. Sie erstellen Computeranalysen, zeichnen mit Zirkel und Lineal, machen Berechnungen, multiplizieren, dividieren und subtrahieren, um die zukünftige Kursentwicklung der Aktien festzustellen. Nach Lebensdauer der Autos richten? Eine andere Gruppe mag sich auf den Konjunkturzyklus stützen. Sie vergleicht die durchschnittliche Lebensdauer aller Automobile mit dem Durchschnittsalter der im Verkehr befindlichen Fahrzeuge, stellt die Höhe und Entwicklung der Löhne und Gehälter fest, erkundet die Anzahl potentieller neuer Käufer, die gewisse Altersgruppen erreichen, berücksichtigt die durchschnittliche Laufzeit noch nicht eingelöster Wechsel für schon in Betrieb genommene Wagen und einige andere Faktoren mehr und analysiert so ziemlich genau, daß der Automobilmarkt im nächsten Jahr besser sein wird, wenn die allgemeine Wirtschaftslage sich bessert oder zumindest gleich gut bleibt. Auch von diesen technischen Spielereien hält Börsenprofi Kostolany nicht viel. „Es gibt zumindest keine Gesetzmäßigkeit, daß Aktien, die gut sind, steigen und jene, die schlecht sind, fallen müssen, ebenso daß die Aktienkurse bei schlechter Wirtschaftslage fallen und bei guter steigen müssen. Hier hängt alles von einer Sache ab, ob es mehr Dumme als Aktien oder mehr Aktien als Dumme gibt.“ Die Tendenz hängt also davon ab, ob es für die Verkäufer wichtiger und dringender ist, ihre Papiere loszuwerden als für die Käufer, mit ihrem Geld Werte zu erwerben. Mit einer überlegenen langfristigen Voraussage über den wahrscheinlichen Ertrag einer Investition, mit einem „Wert in der Hand“, hat dies alles nicht viel gemein. Es kann sein, daß der Markt, d.h. die Anleger, Spekulanten, die Analysten ein Kurs–Gewinn–Verhältnis von zehn zu eins als schlecht, als tief und damit das Papier als unterbewertet ansehen, während sie einige Wochen später dieselbe Aktie mit derselben Relation als überbewertet beurteilen. In seinem prophetischen Essay „Die wirtschaftlichen Möglichkeiten für unsere Enkelkinder“ schreibt Keynes über den wahren Wert des Geldmotivs: „Die Liebe zu Geld als Besitz - zum Unterschied von der Liebe zum Geld als Mittel, sich die Genüsse und Realitäten des Lebens leisten zu können - wird als das erkannt werden, was sie wirklich ist, als eine irgendwie verabscheuungswürdige Morbidität, einer jener halbkriminellen, halbpathologischen Eigenschaften, die man mit Schaudern den Fachärzten für Geisteskrankheiten überantwortet.“ Nach einem Herzanfall im Jahre 1937 gab Keynes alle Tätigkeiten außer der redaktionellen Leitung des Economic Journal auf - und außer seiner täglich halben Stunde Börsenspekulation. „Denn“, so fährt er fort, „wir müssen uns selbst und anderen mindestens noch weitere hundert Jahre vormachen, daß fair gleich foul und foul gleich fair ist.“ Der Spekulant, er produziert nichts, nicht einmal Schnürsenkel. Mit der Bewegung des Kaufens und Verkaufens hat er nichts zu tun. Er versucht lediglich, davon zu profitieren.

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