Akt-Ausstellung: Radikale Nacktheit
Das Bremer Paula Modersohn-Becker Museum widmet sich dem weiblichen Selbstakt und schlägt dabei einen weiten Bogen.
BREMEN taz | Alles fängt mit Paula an. Aber ihr Werk ist im Grunde nur noch von historischem Interesse. Natürlich: Ihr „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag“ von 1906 war damals revolutionär, emanzipatorisch. Es ist deshalb der Ausgangspunkt der Ausstellung „Sie. Selbst. Nackt“. Und vielleicht sogar, wie es Frank Laukötter, der Direktor des Paula-Modersohn-Becker-Museums (PMBM) sagt, der erste Selbstakt einer Künstlerin in der Malerei.
Später als „Ikone“ gefeiert, wurde das Bild nach dem Tod der Künstlerin zunächst unter Verschluss gehalten, im Schlafzimmer von Mutter Becker. Laukötter nennt es liebevoll „das wichtigste Werk“ seines Hauses. Heute erscheint es irgendwie profan, selbstverständlich. Man sieht das Bild, zuckt mit den Schultern, fragt sich: „War die wirklich schwanger?“ (Nein!) und geht vorüber. Was bleibt also – außer eben der Geschichte von damals?
Immer noch die Befreiung von der vorherrschenden, männlichen Sicht der Kunst auf den nackten Frauenkörper. Der stete Kampf für ein wirklich selbstbestimmtes und gegen das vielfach medial vermittelte Bild weiblicher Nacktheit. Die Befreiung vom ewigen Postulat der schlanken, verführerischen, passiven, irgendwie idealisierten Schönheit, die immer wieder zum Objekt wird.
Da ist zum Beispiel Joan Semmel, deren Ölbilder auch im Kontext der feministischen Debatte um Sexismus stehen und noch dazu zu einer Zeit entstanden, als derlei Malerei quasi als tot galt. Du guckst – mit ihren Augen! – auf ihren nackten Körper, und dieser Blick hat natürlich etwas voyeuristisches, entgrenztes. Und wird doch zugleich entlarvt. Schließlich eröffnet sich eine ganz entspannt selbstbewusste, vor allem aber selbstverständliche, befreite Sicht. Gleich zweimal ist Semmel hier vertreten, einmal mit Mitte 40, einmal mit Anfang 70.
Stark ist die Ausstellung gerade dort, wo die Selbstporträts sich nicht nur selbst, sondern auch der Gesellschaft drumherum schonungslos den Spiegel vorhalten. So wie bei Rachel Lewis‘ Collage „Am I Still a Woman?“ von 1989, das auf eindrückliche Weise eine stark magersüchtige Frau zeigt, damals gerade Anfang zwanzig. Sie blickt dich ganz direkt und unverwandt an, im Hintergrund verschwimmt eine Vielzahl von Schnipseln aus Reklame und Erotikmagazinen. Wenige Jahre nachdem dieses Bild entstand, starb Lewis.
Mindestens ähnlich intensiv ist „99 Needles“ der 1964 geborenen Chinesin Chengyao He, eine Video-Performance von 2002, bei der He sich 99 Akkupunkturnadeln in den Körper stechen lässt und durch den Schmerz schließlich sogar kurzzeitig das Bewusstsein verliert. He wurde als uneheliches Kind einst aus der chinesischen Gesellschaft ausgestoßen und provoziert diese zugleich heute immer wieder offensiv mit ihrer Nacktheit. Dabei war diese für sie selbst früher vor allem die Manifestation des geistigen Zustands ihrer Mutter – über die Verachtung, die sie erlitt, verlor diese den Verstand, sie irrte schreiend – und nackt – durch die Straßen.
Gerade dort, wo in den Werken immer wieder Feministisches zur Sprache kommt, ist diese Ausstellung auch eine spannende Ergänzung zu „Girls can tell“, die derzeit in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst junge KünstlerInnen mit Arbeiten zum Thema zeigt. Etwa bei Hannah Wilke, die im PMBM gleich mit mehreren Werken aus den Siebzigern präsent ist, aber von der Frauenbewegung einst durchaus angefeindet wurde. Zu nah am Flirt hieß es dann, zu weit weg vom Feminismus. Dabei konnte sie liebenswert drastisch sein: Auf einem Foto etwa kleben lauter Vaginas aus Kaugummi auf ihrem bis auf eine Krawatte entblößten Oberkörper. Das Material erschien ihr als „perfekte Metapher“ für die amerikanische Frau: „Kau sie durch, hol dir von ihr, was du brauchst, schmeiß sie raus und schieb ein neues Stück rein.“
„Sie. Selbst. Nackt. Paula Modersohn-Becker und andere Künstlerinnen im Selbstakt": bis 2. Februar 2014, Bremen, Paula Modersohn-Becker Museum
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