■ Akademie-Vertrag vom Abgeordnetenhaus verabschiedet: Überraschende Bettgenossen
Wenn CDU-Hinterbänkler in einer Parlamentsdebatte ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern wie Sebastian Pflugbeil donnernd Applaus spenden, ist naturgemäß Mißtrauen gerechtfertigt. In der Abstimmung um die Neugründung einer Berlin-Brandenburgischen Akademie der Künste im Berliner Abgeordnetenhaus war das der vorläufige Schlußpunkt eines über dreijährigen Streits, in dem es um weit mehr ging als um die üblichen, von kaum zu überbietender Provinzialität geprägten Debatten des Landesparlaments. Erbittert, weil exemplarisch, prallten an der Frage, ob und wie die Westberliner Akademie der Künste mit der im Mai dieses Jahres offiziell aufgelösten Akademie der Künste der DDR vereinigt werden soll, Befindlichkeiten Ost und West aufeinander. Emotional und teilweise mit böser Polemik stritt man um die En-bloc-Übernahme der Ost-Mitglieder.
In der Auseinandersetzung um das Verhältnis von Kunst und Politik, um die Funktionalisierung von Künstlern durch den SED-Staat und deren Bereitschaft dazu, aber auch um das frühere augenzwinkernde Sympathisieren vieler Westberliner Mitglieder mit SED-Kulturfunktionären ist der Streit um die Akademie allenfalls der Anfang eines langwierigen Prozesses. Doch immerhin, er wurde geführt – und zwar quer zu allen klassischen Links-Rechts-Mustern, trotz versuchter Einflußnahme selbst des Bundeskanzlers. Ähnlich wie bei der Hauptstadtentscheidung im Bundestag, ging der Riß durch fast alle Parteien; nur die mitregierende SPD verständigte sich früh darauf, dem Verfahren, die Ostberliner durch einen Ehrenrat überprüfen zu lassen, zuzustimmen. Bis zuletzt hatte sich die Berliner CDU gegen dieses Verfahren gewehrt und sogar ihren eigenen, ohnehin angeschlagenen Regierungschef Eberhard Diepgen öffentlich bloßgestellt. Nur indem im Parlament der Fraktionszwang aufgehoben wurde, gelang es überhaupt, den Staatsvertrag endlich zu verabschieden.
Mit 154 Ja- und 61 Nein-Stimmen ist die Entscheidung jetzt überraschend klar für den akzeptablen Kompromiß der Ehrenratsüberprüfung gefallen – gegen eine CDU-Mehrheit, die weiterhin nicht müde wird, gegen die „roten Socken“ zu wettern und plötzlich ihre Liebe zu ehemaligen Dissidenten entdeckt hat. Viel war in der dreijährigen Akademie-Debatte die Rede von Staatsnähe und Staatsferne. Wenn die regierende CDU jetzt schon damit droht, bei den Haushaltsberatungen mißliebiges Verhalten der Akademie mit dem Rotstift zu sanktionieren, illustriert sie nur eines: Daß ihr Beharren auf Staatsferne so grundsätzlich wieder auch nicht gemeint ist. Kordula Doerfler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen