: „Aids ist ein Katalysator für das alte Leib-Seele-Problem“
■ Kunstverein-Chef Stephan Schmidt-Wulffen zum Verhältnis der Künstler zum Phänomen Aids
Sie haben im vergangenen Jahr eine Ausstellung in Hamburg gemacht unter dem Titel: „Gegendarstellung - Ethik und Ästhetik im Zeitalter von Aids“. Die Ausstellung war umstritten. Wo lagen die Streitpunkte?
Ziel dieser Ausstellung war, nach den Wirkungen von Aids auf die zeitgenössische amerikanische Kunstszene zu fragen, ein Umdenken zu erforschen. Dabei taucht die Frage auf, darf man ein so menschliches, vor allen Dingen aber so ein politisch brisantes Thema in den aseptischen Raum eines Museums bringen? Führt diese „Musealisierung“ nicht dazu, daß dem Thema seine gesellschaftliche Brisanz genommen wird? Die Amerikaner haben zum Teil noch schwerwiegendere Einwände gehabt. Für sie ist der Umgang mit Bildern im Zusammenhang mit Aids Mittel des politischen Kampfes und dieser wird entschärft, wenn das plötzlich Museumsweihen bekommt. Wenn Sie in Amerika nicht eine private Versicherung abgeschlossen haben, müssen Sie selber alle Behandlungskosten bezahlen. Sie verarmen binnen Kurzem und fallen aus der Gesellschaft heraus. Innerhalb von Act Up (der Aktionsgruppe gegen Diskriminierung im Bereich HIV-positiv und AIDS) ist daher die Kunst unmittelbar an politische Auseinandersetzungen gebunden. Deshalb tritt dort der Aspekt der Verharmlosung einer politischen Auseinandersetzung natürlich viel stärker in den Vordergrund als bei uns.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit der künstlerischen Arbeit zu Aids?
Es ist sehr schwer, über diese Thematik zu reden. Man muß sehr vorsichtig sein, daß man die Zusammenhänge um Aids nicht verknappt. Es geht um den Appell an uns alle, mit dem Phänomen HIV-positiv anders umzugehen. Dennoch bleibt die Frage, wie man in einer Ausstellung zu einer anderen Begegnung mit Aids motiviert.
Haben Hamburgs Künstler es nicht nötig, sich mit Aids zu beschäftigen? Bei der Recherche zu diesem Thema blieben wir fast erfolglos. Es gab natürlich die Aufführung „Engel in Amerika“.
Ein Importartikel.
Aber wenn man sich die Reaktion der Hamburger Künstler ansieht, könnte man meinen, Hamburg sei der glückliche Ort, der von Aids verschont geblieben ist?
Natürlich nicht. Es gibt nur mehr oder minder gute Verdrängungsmechanismen. Eine so heterogene Stadt wie Berlin, mit sehr vielen Minoritäten, die ihre ganze Lebensqualität auch aus diesem Bewußtsein bezieht, ist viel offener für eine solche Auseinandersetzung, als eine hierarchisch gestaltete Stadt wie Hamburg, in der noch dazu eine gewisse bürgerliche Schicht den Ton angibt. In Hamburg funktionieren Verdrängungsmechanismen wesentlich perfekter als in Berlin.
Gehört es hier zum guten Ton, das Problem zu verdrängen?
Ja. Und man kann nicht umhin zu sagen, daß Homosexualität in einer bürgerlichen Stadt wie Hamburg noch stärker stigmatisiert ist, als zum Beispiel in Berlin, wo es seit vielen Jahrzehnten im Grunde die Kultur mitbestimmt. Doch auch insgesamt gibt es in Deutschland das Problem, Aids als ein Phänomen unserer Wirklichkeit, unserer Kultur zu begreifen. Das wird abgelegt unter 'Krankheit'. Daß diese Epidemie unser zwischenmenschliches Verhalten mitprägt, daß sie uns zwingt über den Tod wieder nachzudenken, daß sie letztlich bis in unsere Kulturvorstellung hineinwirkt, das wird nicht diskutiert, das wird totgeschwiegen. Dann kommt natürlich hinzu, daß bildende Kunst hier, im Unterschied zur amerikanischen, dieses Thema gar nicht kennt. Figuren, die in Amerika eine sehr große Rolle spielen, zum Beispiel: Robert Gober, Ross Bleck, Kiki Smith, deren Kunst ist nicht denkbar ohne die Auseinandersetzung mit Aids. Bei uns können sie keinen wichtigen Künstler namhaft machen, dessen Werk durch die Auseinandersetzung mit Aids geprägt ist. Zum einen grassiert die Krankheit in der deutschen Kunstszene noch nicht so wie in den USA. Zum anderen hängt das auch mit einem konservativen Künstlerbild zusammen. Der Künstler hier begreift sich oft immer noch als Einzelwesen, losgelöst von der Gesellschaft, angewiesen auf Inspiration, während die amerikanischen Künstler sich wesentlich stärker als Element des politischen Lebens begreifen.
Hat sich durch die Auseinandersetzung mit Aids und Tod ein neuer Zeitbegriff in der Kunst entwickelt?
Ich glaube nicht, daß das im Zusammenhang mit Aids die entscheidende Frage ist. Wenn man über Aids und Kunst oder über Aids und Kultur redet, dann muß man sehen, daß Aids uns zwingt, das Verhältnis zwischen uns und unserem Körper, zwischen der Ideenwelt und der Leiblichkeit, neu zu überdenken. Aids ist ein Katalysator für dieses alte Leib-Seele-Problem. Wenn man sagt, gegenwärtige Kunst ist sehr stark von der Frage nach der Körperlichkeit geprägt, dann hat das damit zu tun, daß Aids eine Frage in dieser Richtung ausgelöst hat.
Eine große Diskussion, die in Amerika geführt wird ist, wie vermeide ich es, den HIV-Positiven zum Objekt zu machen. Die Initiative richtet sich nicht darauf zu sagen, „Habt mehr Verständnis für den Kranken“, sondern: „Der Kranke ist Teil unserer Existenz, er gehört in unser Leben. Ihr dürft ihn nicht isolieren.“
Gerade beim Thema Aids wird die Schuldfrage gesellschaftlich plötzlich unheimlich bedeutend. Die Unterscheidung zwischen den unschuldigen Kindern und denen, die Aids durch Sex bekommen wird überall gezogen.
Das ist genau der Punkt, wo wir wieder da sind, wie Aids alles in ein anderes Licht rückt. Hier: die geläufige kulturelle Klassifikation von Schuldigen und Unschuldigen. Gegen die muß man ankämpfen. Da wird ein unglaublicher gesellschaftlicher Konservativismus deutlich. Hier beginnt die Aufgabe der Kultur, neu zu bewerten, Sprechformen zu sanktionieren, Denkweisen, die dahinter stecken aufzuschließen, Wertesysteme zu demontieren. Da meine ich, ist die Aufgabe, die mit der Aids-Krise entsteht, kulturelle Systeme zu verändern. Ob die Skulptur aus Bronze oder aus Thesafilm gemacht ist, ist ziemlich egal.
Fragen: Elsa Freese
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