Ahrensburg-Gartenholz: Halteverbot im Geisterbahnhof
Ein nagelneuer Bahnhof steht unbenutzt an den Gleisen zwischen Hamburg und Lübeck. Kein Zug darf halten, weil EU-Vorschriften missachtet wurden. Im Dezember könnte sich das ändern.
In zwei Monaten könnte die unendlich scheinende Geschichte des Bahnhofs Ahrensburg-Gartenholz doch noch ein gutes Ende finden: Am 12. Dezember, zum Fahrplanwechsel der Deutschen Bahn, könnte hier der erste Regionalzug zwischen Hamburg und Lübeck halten. Dabei ist der Bahnhof seit langem fertig. Was ihm fehlt: Der Stempel vom Eisenbahnbundesamt (EBA), das derzeit noch die im September frisch eingereichten Unterlagen prüft. Und sich, so Sprecher Moritz Huckebrink, "auf keinen Termin festlegt".
Der Grund für das Halteverbot ist, dass EU-Vorschriften nicht oder unzureichend beachtet wurden. Die Kachelung der Bahnsteige, die Anzeigetafeln, die Beleuchtung: Alles muss zertifiziert werden. Auch wünscht Brüssel, dass der Fahrkartenautomat von sehbehinderten und blinden Menschen bedient werden kann. Zusätzlich zu herkömmlichen Touchscreens sollen sie über eine "akustische Sprachausgabe" verfügen, zumindest auf Deutsch. Solche Ticket-Automaten aber werden in der EU gar nicht angeboten.
Ahrensburg-Gartenholz liegt an der Vogelfluglinie nach Dänemark. Die Strecke ist grenzüberschreitend und unterliegt damit seit 2008 der Transeuropäischen Eisenbahn-Interoperabilitätsverordnung, in der die EU strenge Standards für internationale Bahnlinien festgelegt hat. Die gelten vor allem für Neubauten und damit auch für Gartenholz, obwohl hier niemals ein ICE oder Eurocity halten wird.
Ahrensburg mit knapp 32.000 Einwohnern liegt an Hamburgs nordöstlichem Stadtrand.
Verbindung: Mit der U-Bahn-Linie 1 sowie einer Regionalbahnlinie zum Bahnhof Ahrensburg ist die Stadt an den Hamburger Verkehrsverbund angeschlossen. In Planung ist eine zusätzliche S-Bahn-Linie von Hamburg nach Ahrensburg und Gartenholz.
Vogelfluglinie: Die Strecke zwischen Lübeck und Hamburg ist die meistbenutzte Bahnlinie in Schleswig-Holstein. Sie ist Teil der Vogelfluglinie nach Dänemark.
Fehmarnbelt-Querung: Sollte die geplante Brücke gebaut werden, würde der Personen- und Güterzugverkehr durch Ahrensburg deutlich zunehmen.
Es sei nicht klar gewesen, "welche Vorschrift in welcher Tiefenschärfe angewendet werden muss", räumt Stefan Schott vom Bauamt der Stadt Ahrensburg ein. Die hatte von der Bahntochter Station & Service die Projektleitung übernommen und den Bahnhof samt P+R-Platz, überdachten Radabstellanlagen und einer Brücke für Fußgänger und Radler gebaut - für "acht Millionen all inclusive", sagt Schott.
Für die technischen und rechtlichen Feinheiten des europäischen Bahnbetriebs indes hätten der Stadt "verständlicherweise die notwendigen Kenntnisse" gefehlt, stellte das EBA bereits im April fest. Es wäre Aufgabe der Bahn gewesen, Ahrensburg zu unterstützen, die Anwendung von Vorschriften zu prüfen und "gegebenenfalls diesbezügliche Ausnahmeanträge zu stellen". Dieses sei unterlassen worden, rügte das Amt.
Im November vorigen Jahres hätte der Bahnhof, offiziell nur ein Haltepunkt, in Betrieb gehen sollen. Als erster Neubau in Deutschland fiel er jedoch unter die EU-Vorgaben, und deshalb wird seit fast einem Jahr auf Kosten der Deutschen Bahn nachgebessert. "Die Finanzfragen klären wir später", sagt Bahnsprecher Egbert Meyer-Lovis, "sonst werden wir nie fertig."
Ahrensburg-Gartenholz soll nur ein Haltepunkt für Regionalbahnen sein. Im Westen liegt der wachsende Stadtteil Gartenholz mit Reihenhäusern und mittelgroßen Wohnblocks im Grünen. Rund 4.000 Menschen wohnen hier, Tendenz steigend. Im Gewerbegebiet östlich der Bahn arbeiten fast 10.000 Menschen, größter Arbeitgeber ist die Zeitungsdruckerei des Springer-Konzerns. Dieses Potenzial an Pendlern sollte Ahrensburg-Gartenholz erschließen: Nur 22 Minuten würde die Fahrt zum Hamburger Hauptbahnhof dauern. So steht es seit dem 27. März 2010 in den Sommerfahrplänen - mit dem Zusatz: "Die Inbetriebnahme der Station wird besonders bekannt gegeben."
Auf einen Termin will sich Bahnsprecher Meyer-Lovis noch nicht festlegen lassen: Man warte "erstmal auf grünes Licht" vom EBA. "Der Fahrplanwechsel wäre der logische Termin", findet hingegen Dennis Fiedel von der Landesverkehrsservicegesellschaft (LVS), die im Auftrag Schleswig-Holsteins den öffentlichen Nahverkehr im Land plant.
Idee der LVS war es, Ahrensburg-Gartenholz zu bauen, räumt Fiedel ein, die Umsetzung indes sei nicht ihre Sache. Alle Beteiligten hätten sich aber darauf geeinigt, "von gegenseitigen Schuldzuweisungen abzusehen", sagt Fiedel. "Wir haben alle unterschätzt, was EU-Recht bedeutet. Jetzt wissen wir es."
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