■ Afro-Info: Schwarze Medizin
Der Zauberer, der Fetischmediziner und der Heilkundige hatten von alters her ihren festen Platz im Kreise der Lebensgemeinschaften in Afrika. Diese Tradition hat durch die Erschütterungen von Stammeskriegen, Menschenhandel und Kolonialismus, aber auch durch die Folgen der Unabhängigkeit, mehr und mehr ihre Ursprünglichkeit verloren. Es ist kaum noch möglich, ein authentisches Bild der traditionellen afrikanischen Medizin zu zeichnen.
Die Art der Afrikaner, Natürliches und scheinbar Übernatürliches gleichermaßen als Elemente des Lebens zu begreifen, hat uns Europäer schon immer überrascht. In den Vorstellungen über das Leben, die Krankheit und den Tod mischen sich Erfahrung mit magisch-religiösem Glauben. Das trifft besonders für die Medizin zu, deren Studium man nicht richtig betreiben kann, ohne sie im Zusammenhang mit ihren beiden Stützen, dem Fetischismus und der Zauberei, zu sehen. Körper und Seele werden als Einheit, als Ganzes betrachtet, verbunden mit der sichtbaren und unsichtbaren Welt durch das ungeteilte Zusammenwirken von Geistigem und Körperlichem, von Behandlung und Diagnose. Deshalb sind Medizin und Pharmazie besonders eng miteinander verbunden. Beide sind in der einen Person des Fetischheilers vereinigt. Er wahrt die Kenntnisse der Vorfahren. Dabei stellt er nicht nur Diagnosen, sondern verordnet gleichzeitig Medikamente, sammelt die in der Umgebung vorkommenden Heilpflanzen, stellt die Heilmittel her und verteilt sie.
Das Wissen der Heilkundigen wurde mangels Schreibkunst als mündliche Überlieferung von Generation zu Generation weitergetragen und angereichert. Das Wort Fetisch stimmt mit keinem afrikanischen Wort überein. Es wurde durch die ersten portugiesischen Seefahrer, die an der Küste des Golfes von Guinea Handel trieben, aus dem Wort fetico (vom lateinischen factitius, künstlich) abgeleitet. Mit diesem Begriff bezeichneten sie alle Wesen oder Dinge, die die Afrikaner anbeteten und in einem religiösen Kult verehrten. Später erkannte man, daß es sich dabei um den Glauben an eine Lebenskraft handelt, die Wesen und Dinge belebte, und man schlug die Bezeichnung animistisch (vom lateinischen Wort anima, Seele) vor. Fetischismus und Animismus verkörpern letztlich den starken Einfluß des religiösen Glaubens, der eine Erklärung der wesentlichen Erscheinungen des Lebens, der Natur und der Gemeinschaft anbietet. Das Gleichgewicht der Lebenskräfte bleibt erhalten, wenn der Mensch gesund ist. Die Lebenskräfte bleiben jedoch nicht unverändert. Sie können unter dem Ansturm mächtiger Kräfte, die die Harmonie zwischen der Welt des Geistlichen und des Weltlichen stören, zusammenbrechen. Diese Störung im Gleichgewicht der Lebenskräfte macht das Wesen der Krankheit aus. Andreas Kirchgäßner
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